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 Polenta von Kathrin Rüegg:
Arme-Leute-Essen für Geniesser

 

VON VERA BUELLER

Die kurvige Strasse führt immer tiefer ins Tal; rechts und links steile Berghänge, an denen urtümliche Steinhäuser kleben. Dichter Bodennebel liegt über dem Wildbach, der sich durch die schmale Ebene schlängelt. Zuhinterst, bei Gerra, führt der Weg hinab zum Fluss, wo es nicht weiter geht. Nur ein buckeliger Pfad weist darauf hin, dass hier doch noch nicht das Ende der Welt sein kann. Und in der Anhöhe erkennt man eine kleine Oase, bestehend aus einigen wenigen, ineinander verkeilten Rustici, Gärten und Anbauflächen. Auf dem Weg dorthin wird man gleich von mehreren roten Katzen und einem alten Hund freudig begrüsst. Ansonsten absolute Stille.

Dann öffnet sich eine Tür  und die Erfolgsautorin Kathrin Rüegg steht so da, wie man sie sich vorgestellt hat: Energiegeladen, herzlich und bescheiden. Dass sie bereits 77 Jahre alt ist, kann man kaum glauben. Mit einer ausladenden Bewegung weist sie auf den sich bietenden Ausblick mit den verschneiten Bergspitzen: «Ist es nicht grossartig hier? Diese Luft, dieses Panorama, diese Ruhe!» Sie erwartet nicht wirklich eine Antwort. Wer wollte ihr auch widersprechen? Das Verzascatal, das Kathrin Rüegg in ihren Büchern «Acquaverdetal» nennt, ist unbestritten einmalig schön. Die Urtümlichkeit konnte, Moderne hin oder her, bewahrt bleiben. Hier scheint die Umwelt noch intakt zu sein und das, was auf den Tisch kommt, unverfälscht.

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Polenta mit Gorgonzola und Pesto rosso

Das Essen ist den auch der Anlass für unseren Besuch: Kathrin Rüegg will an diesem kalt sonnigen Wintertag eine Polenta mit Gorgonzola und Pesto rosso auf den Tisch zaubern. Das läuft dann so ab, als befände man sich in einer Folge der Kochsendung «Was die Grossmutter noch wusste». In der bis vor zweieinhalb Jahren vom süddeutschen Fernsehsender SWR ausgestrahlten Kult-Sendung stellte das eigenwillige Duo Kathrin Rüegg und der inzwischen verstorbene Werner O. Feisst nämlich nicht nur Rezepte vor. Sie lieferten zugleich Informationen über Haus, Garten und Gesundheit, gaben hilfreiche Alltagstipps, verrieten Hausmittelchen und vermittelten Heimatkunde.

So beginnt Kathrin Rüegg auch jetzt nicht gleich mit dem Kochen, sondern erzählt über die Polenta: «Vom Veneto und dem Friaul über die Lombardei, das Tessin und das Bündnerland bis ins Veltlin  war die Polenta während Jahrhunderten für die Menschen wichtiger als Brot.» Allerdings habe man früher dafür Weizen verwendet, was sich erst mit der Einfuhr des Mais aus Amerika geändert habe.

Galt der Brei früher als Arme-Leute-Gericht, so gehört er heute zu den Spezialitäten für Geniesser. «Polenta ist aber nach wie vor eines der günstigsten Nahrungsmittel», sagt Kathrin Rüegg und rechnet vor, dass 1 Kilo Polenta für 16 Personen ausreiche; wogegen 800 Gramm Kartoffeln lediglich 4 Personen sättigten. Dann begibt sie sich in ihre kleine einfache Küche. An den Wänden kleben unzählige Zettel, Notizen, Rezepte und eine Liste mit allen Lebensmittelzusatz-Nummern, den sogenannten E-Nummern. Zu jeder steht ein Vermerk, ob der Zusatz «harmlos», «krebserregend» oder «verboten» ist, ob er Verdauungs-, Darm- oder Hautstörungen verursacht.  

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Es darf auch eine Teflonpfanne sein

Als Kathrin Rüegg eine Teflon-Pfannen und einen zerbeulten Deckel auf den Herd stellt, scheint sie zu ahnen, was der Besuch denkt: Die wahre Polenta sollte doch während Stunden im verzinnten Kupferkessel über dem Holzfeuer brodeln – und von einer alten Nonna kraftraubend, immer in die gleiche Richtung, umgerührt werden. Kathrin Rüegg hält das für einen Mythos: «Gewiss bekommt die Polenta über einem Holzfeuer einen besonderen Rauchgeschmack, aber wer verfügt heute zu Hause noch über einen Holzherd oder ein offenes Feuer?» Die Zubereitung einer guten Polenta sei eine relativ einfache Geschichte  – und gelinge auch in einer Teflonpfanne.

Für die Qualität des Maises sei nämlich ein ganz anderer Faktor entscheidend: die Frische. «Polenta sollte nicht älter als ein Jahr sein, weil das Maiskorn viele ungesättigte Öle enthält, die den typischen Geschmack geben – aber eben auch relativ schnell ranzig werden.» Um den Mais haltbarer zu machen würden bei industriell hergestellter Polenta die schmackhaften Teile entfernt. Wer also Qualität garantiert haben wolle, müsse Jahrgangspolenta kaufen. «Der ist zwar etwas teurer, enthält aber auch keine schädlichen Zusatzstoffe.»

Es gibt weisse, gelbe, rote und schwarze Polenta aus weissem, gelbem, rotem Mais und – nein, nicht aus schwarzem Mais, sondern aus Buchweizen. «Das ist die Polenta nera, die man vor allem im Veltlin, aber auch noch im Tessin antrifft», weiss Kathrin Rüegg und fährt mit ihrer Lebensmittelkunde fort: Ob der Griess grob, mittel oder ganz fein gemahlen sein soll, sei Geschmackssache. «Ich verwende die grob gemahlene Bramata», sagt Rüegg.

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Arme-Leute-Variante

Nun brodelt endlich das Wasser auf dem Herd. Und während die «Grossmutter» behutsam das Maisgries ins Wasser gleiten lässt, betont sie, dass die Polenta traditionellerweise mit Salzwasser gekocht werde. Man könne dazu freilich auch  eine frische Rinderbouillon oder eine frisch zubereitete Gemüsebouillon verwenden. Selber zieht Katrin Rüegg die «Armeleute-Variante» vor, weil die ursprüngliche Tessiner Küche eine grossartig einfache sei. «Was die Natur hergibt, kommt auf den Tisch.»

Diesen Grundsatz pflegt Katrin Rüegg im übertragenen Sinne auf ihr ganzes Leben. «Ich lebe hier mit der Natur. Alles ist perfekt. Nur von noch mehr Sonne im Winter träume ich, Sonne und Wärme für meine Arthrose.» Das Alter mache eben auch vor ihr nicht Halt. Doch die Bestsellerautorin lässt sich davon kaum einschränken. Derzeit schreibt sie eine Biografie über ihre frühen Jugendjahre, die sie als Tochter einer Bauern- und Hotelierfamilie im Bündnerland verbracht hatte. «Rückblickend sieht man immer deutlicher, warum man so wurde wie man geworden ist.»  Eigentlich sei sie einfach zu ihren Wurzeln zurückgekehrt, als sie vor 36 Jahren ihre Karriere als taffe Geschäftsfrau und Antiquitätenhändlerin in Basel aufgegeben habe. Wie Kathrin Rüegg erzählt, wurde sie schon als Kind in Arosa mit dem Landleben vertraut gemacht, und sie habe immer mit Freude auch in der Küche mitgeholfen.

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Rundgang durchs Paradies

40 Minuten muss die Polenta kochen. Das lässt Zeit für einen Rundgang durchs Paradies. Als sich die Wintersonne zaghaft über den Weiler legt, gibt dies Kathrin Rüegg das Stichwort für etwas Gartenkunde: «In Gegenden, wo die Sonne nicht permanent und kräftig scheint, können Sie keine Peperoncini anpflanzen. Sie werden nicht scharf genug.». Gut gedeihten bei ihr hingegen Bohnen, alle Kohlsorten, Salat, Lauch und Kartoffeln. Zur Polenta reicht sie später denn auch einen wunderbaren Salat mit Winterkohl aus dem eigenen Garten.

Kathrin Rüegg, die  mit ihren Büchern über eine bewusste Lebenshaltung Furore machte,  ist zu Recht stolz auf ihr Idyll: «Anfänglich lebte ich hier ganz selbstversorgend und sehr primitiv. Kochen konnte ich nur mit einem Campingkocher und Gasflaschen.» Das hat sich geändert: Sie verfügt heute über Bodenheizung, zwei Küchen, über alle notwendigen elektronischen Medien. Und dass sie auch heute noch geschäftstüchtig ist, beweist ihre Agenda, die prall gefüllt ist mit Terminen für Kurse, Lesereisen und andere Auftritte. Zu ihrem Imperium gehört auch ein Laden an der Dorfstrasse, wo man neben Büchern und Kunsthandwerk auch Spezialitäten aus Kathrin Rüeggs Garten kaufen kann.
Die Polenta ist fertig. Kathrin Rüegg  verteilt etwa die Hälfte gleichmässig und glatt gestrichen in einer Auflaufform. Dort bedeckt sie dann die Masse zur einen Hälfte mit Gorgonzola-Scheiben, zur anderen mit selbst gemachtem Pesto rosso, den man bei ihr auch online beziehen kann (www.kathrin-ruegg.de). Dann deckt sie alles mit dem Rest der Polenta zu. Pesto und Gorgonzola  bleiben jedoch noch ansatzweise sichtbar. Das Rezept hat sie von einer Einheimischen bekommen. «Den pesto rosso habe ich aber als Eigenkreation hinzu gefügt», sagt sie.

Während die Polenta im Ofen vor sich hin schmort, schwärmt sie von weiteren Polenta-Gerichten. Mindestens so gut wie der Brei schmeckten gebratene Polentaschnitten. «Dazu kocht man zuerst die Polenta wie gehabt, giesst sie aber am Schluss auf ein kalt ausgespültes Blech, streicht sie möglichst dünn aus und lässt sie vollständig auskalten.» Dadurch werde sie fest und lasse sich problemlos in kleine Schnitten schneiden. So könne man die Polenta später als Unterlage von Raclette oder Pilzen, als Beilage zu allerlei Fleisch verwenden. Dass Kathrin Rüeggs Polenta mit Gorgonzola und Pesto rosso aber unbestritten die beste ist, beweist das anschliessende Essen. Dazu serviert sie einen leichten Vino nostrano. Und langsam neigt sich in ihrem Paradies ein weiterer glücklicher Tag dem Ende entgegen.

Januar 2008

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Polenta mit Gorgonzola und Pesto rosso

Rezept für vier Personen


Polenta:

  • 1 Liter Wasser mit ca. 1 Teelöffel Salz aufkochen, Kochtopf vom Feuer nehmen.250g Polenta (grob gemahlene Bramata) einrühren.
  • Halb zugedeckt (quergelegter Kochlöffel, auf den man den Deckel legt) 5 Minuten köcheln lassen – Platte auf mittlere Hitze stellen.
  • Dann ohne Deckel 40 Minuten kochen lassen, gelegentlich umrühren.

Pesto rosso:

  • ca. 100g getrocknete Tomaten eine viertel Stunde in Merlot kochen.
  • Über Nacht stehen lassen, dann im Mixer unter Zugabe von etwas Olivenöl fein zerkleinern. Am Schluss mit 200g geriebenem Parmesan-Käse und ca. 1 dl Olivenöl gut vermengen.

Gorgonzola:

  • 400g Gorgonzola in Scheiben schneiden.

Fertigstellung:

  • Die Hälfte der Polenta in eine bebutterte Auflaufform geben, flach verstreichen.
  • Auf die eine Hälfte die Gorgonzola-Scheiben legen, auf der zweiten Hälfte den Pesto rosso verteilen.
  • Alles mit dem Rest der Polenta dünn zudecken und mit einigen Blutterflöckchen bestreuen.
  • 20 Minuten auf 150 Grad im vorheizten Ofen überbacken.

Mit Blattsalat servieren.

 

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