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 MiGeL 3:
Staatlich garantierte Gewinne auf Kosten der Prämienzahler

 

VON VERA BUELLER

Es begann vor Jahren mit einer Lungenembolie: Die Ärzte stellten fest, dass Hubert Kauschs Blut «zu dick» ist und er deshalb ein Leben lang Blutgerinnungsmittel einnehmen und sein Blut testen muss. Denn wenn das Blut «klumpt», kann das zu Thrombosen oder einem Schlaganfall führen. «Zuerst musste ich einmal pro Woche in eine Arztpraxis, um mein Blut testen zu lassen, später einmal pro Monat.» Da Hubert Kausch beruflich viel unterwegs ist, entschied er sich, die Tests künftig selber durchzuführen und den dafür nötigen Schulungskurs zu absolvieren. Denn um den so genannten Koagulationsfaktor zu bestimmen, gibt es ein mobiles Messgerät der Firma Roche Diagnostics in Rotkreuz. Seit Juli 2011 müssen die Krankenkassen die Kosten für das Gerät und die dazu gehörenden Teststreifen übernehmen (siehe Kasten: MiGeL oder den ersten Abschnitt des Kastens hier einfügen).

Bald schon ärgerte sich Hubert Kausch über die Kosten des mobilen Angebots. Denn das Gerät CoaguChek XS ist so programmiert, dass es keine Teststreifen mit abgelaufenem Verfallsdatum akzeptiert – nach rund einem Jahr. «Um die Stabilität der Antikörper, also die Testgenauigkeit zu garantieren», wie Roche-Mediensprecherin Nicole Rüppel betont. Da die kleinste Packung 24 Teststreifen enthält, weil normalerweise mindestens alle zwei Wochen getestet werden muss, Hubert Kausch aber nur einen Test pro Monat braucht, landet jeweils die halbe Packung im Abfall – rund 88 Franken.

Das gleich Produkt zum halben Preis im Ausland

Denn eine 24er-Packung kostet, bei Roche bezogen, 175.30 Franken. Diesen Preis müssen die Krankenkassen gemäss MiGeL akzeptieren. Obwohl das gleiche Produkt beispielsweise in Deutschland für die Hälfte zu haben wäre. Doch das Krankenversicherungsgesetzt (KVG) schreibt vor, dass die Krankenkassen nur Kosten übernehmen dürfen, die in der Schweiz anfallen – auch wenn sie viel höher als im Ausland sind.

Darüber ärgert sich Preisüberwacher Stefan Meierhans und fordert eine Änderung des KVG: «Die Krankenversicherer sollten im Ausland gekaufte MiGeL-Produkte, denen ein ärztliches Rezept zugrunde liegt, zwingend vergüten müssen. MiGeL-Produkte sind handelbare Güter und nur bei der Vergütung von Auslandbezügen entsteht der nötige Druck auf die Preisinsel Schweiz.»

Nicht nur die Teststreifen auch das dazugehörige, gemäss MigeL 850 Franken teure Messgerät CoaguChek XS könnte man im Ausland billiger haben – um rund hundert Franken inklusive einem Testreifen-Set. Die riesigen Unterschiede begründet Roche mit ihrer Preispolitik: «Unser länderspezifisches Preiskonzept unterliegt den lokalen, marktspezifischen Gegebenheiten und führt so zu unterschiedlichen Preisen in unterschiedlichen Ländern.»

Dieses «länderspezifische Preiskonzept» wird in der Schweiz sogar noch staatlich gestützt: Für die auf der Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL) aufgeführten Produkte sind behördlich verordnete Höchstvergütungspreise festgelegt, die von den Krankenkassen akzeptiert werden müssen. Das hat zur Folge, dass sich die Hersteller und Lieferanten nach diesen Höchstpreisen richten – und nicht nach den Gesetzen des Marktes.

Preise seit 1998 nicht überarbeitet

Santésuisse, der Branchenverband der Krankenversicherer, hat eine ganze Reihe von Beispielen gesammelt, bei denen die Preisunterschiede zwischen dem MiGel-Höchstpreis und dem Auslandpreis markant ausfallen. Beispielsweise kostet eine Lichttherapie-Lampe eines Schweizer Anbieters 848 Franken. Die identische Lampe kostet in Deutschland mit einem Euro-Kurs von 1.05 Franken unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuerdifferenz nur 360 Franken. Der Krankenversicherer ist aber verpflichtet, für eine in der Schweiz gekauften Lampe 720 Franken zu vergüten. Dieser von den Behörden administrierte Preis wurde 1998 erlassen und ist seither nicht mehr angepasst worden.

Santésuisse-Sprecher Christophe Kaempfts Rechnung fällt entsprechend deutlich aus: «Die Mittel und Gegenstände, die von der Krankenkassen übernommen werden mussten, haben letztes Jahr 424 Millionen Franken gekostet. Auf diese Summe könnten man 136 Millionen sparen, wenn die Mittel und Gegenstände den Preisen im Ausland angepasst würden.»

Dem widerspricht Michaela Kozelka, Mediensprecherin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG): «Wir haben derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass die Höchstvergütungsbeträge der MiGeL systematisch höher als die Preise im Ausland sind. Aus diesem Grund schätzen wir das Einsparungspotential weit geringer ein.»

Allerdings liegt die letzte systematische Überprüfung der verordneten Preise neun Jahre zurück – bevor der Euro auf 1,20 und dann auf 1,05 Franken fiel. Nur für einige wenige Produkte ging man 2011 über die Bücher. Preisüberwacher Stefan Meierhans verlangt schon seit langem eine Überprüfung alle drei Jahre, wie bei den Medikamenten: «Den dringlichsten Handlungsbedarf sehe ich aber bei der Methode zur Festlegung der Höchstvergütungspreise. Sie muss klar strenger werden und zwingend einen Auslandpreisvergleich beinhalten, auch wenn der Vergleich bei gewissen Produkten anspruchsvoll ist.»

Zeitplan ungewiss

Beim BAG denkt man anlässlich der geplanten Revision schon seit Jahren über eine kontinuierlich, periodisch stattfindende Überprüfungsmethode nach. Eine Dreijahresperiode kommt fürs BAG jedoch nicht in Frage: «Die MiGeL-Positionen umfassen oft Gruppen von Produkten in unterschiedlichen Ausführungen.» So gebe es beispielweise X verschiedene Blutdruckmess- oder Inhalationsgeräte. «Die Höchstvergütungen verstehen sich deshalb nur als Beitrag an Preise, die wir nicht direkt beeinflussen können», verteidigt man sich beim BAG. Bei Medikamenten könne man die Preise hingegen verbindlich festlegen, weil es sich jeweils um dasselbe, genau definierte Produkt verschiedener Hersteller handle.
Was das Gesundheitsamt konkret ändern will, bleibt somit unklar. Die Vorbereitungen zur Revision seien am Laufen, heisst es. Gemäss BAG-interner Planung sollte das Konzept im Verlaufe des Jahres 2015 vorliegen. Weitere Angaben zu Inhalten und zum Zeitplan der Revision kann das BAG nicht machen.

Oktober 2015
Der Artikel ist auch erschienen im www.beobachter.ch

MiGeL – der Markt spielt nicht

Die «Mittel- und Gegenständeliste» des Bundes (MiGel) gibt Auskunft darüber, wie viel die obligatorische Krankenversicherung für medizinische Hilfsmittel wie beispielsweise Krücken, Injektionsmaterial oder Inhalationsgeräte vergüten muss.

Die Krux dabei: Es handelt sich bei den Angaben um Höchstpreise des Bundesamts für Gesundheit, und die Hersteller oder Händler von Medizinalprodukten orientieren sich an diesem festgelegten Maximalbetrag und nicht am Markt.

Der Preis wird von einer 15-köpfigen Kommission ermittelt, der Vertreter des Gesundheits- und Versicherungswesens angehören sowie Hersteller, Experten und Oekonomen.

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