Diabetes / MiGeL
VON VERA BUELLER Da beklagt sich doch tatsächlich ein Apotheker aus dem Berner Jura darüber, dass er plötzlich mehr verdienen darf als bisher! Denn statt 81 Franken kann er seit dem 1. Juli 87.60 Franken für Blutzucker-Teststreifen verlangen und somit eine grössere Gewinnmarge einstreichen. Das passt dem jurassischen Arzneihändler mit Blick auf die steigenden Kosten im Gesundheitswesen ganz und gar nicht. Trotzdem will er nicht öffentlich mit Namen zu seiner Kritik stehen: «Sie können sich vorstellen, dass ich mit meiner gesunden Einstellung zu den Kosten auf Widerstand unter Berufskollegen stosse.» Der Mann befürchtet Repressalien, denn zu stark sei die Lobby aus Ärzten, Lieferanten und Apothekerkollegen. Es geht um die Höchstvergütungsbeträge für medizinische Hilfsmittel, die auf der so genannten Mittel- und Gegenstandsliste (MiGeL) des Bundes festgelegt sind (siehe Kastentext). Der dort bestimmte maximale Preis, den die obligatorische Krankenversicherung für Blutzucker-Teststreifen vergüten muss, wurde im Laufe der Jahre kontinuierlich gesenkt, zuletzt per 1. Januar 2011 auf 81 Franken für 100 Stück. Solche Teststreifen benötigen Diabetiker mehrmals täglich um ihren Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Eine teure Angelegenheit. Marktführer bei den Blutzucker-Teststreifen mit einem geschätzten Anteil von 80 bis 90 Prozent sind die Firmen Bayer und Roche. Als vor anderthalb Jahren die Höchstvergütung für Teststreifen auf der MiGeL sank, reduzierten die Marktbeherrscher zwar ihre Preise für die Apotheken ebenfalls, aber nicht im gleichen Mass wie die MiGeL-Höchstpreise abnahmen. Während Bayer als Begründung die hohen Weiterentwicklungskosten ihrer Produkte («Contour») anführt, nimmt Roche («Akku-Chek») gar nicht erst Stellung und verweist auf den Branchenverband. Patienten zahlen höhere Marger Die Folge der Hochpreispolitik: Die Gewinnmarge für die Apotheker sackte auf rund 5 Prozent ab. «Wir brauchen jedoch vernünftige Margen, davon leben wir – gratis können wir nicht arbeiten», sagt dazu Claus Hysek, Präsident des Vereins unabhängiger Apotheker (IFAK). Er habe deshalb im Februar 2011 sämtliche Hersteller von Blutzucker-Teststreifen zu einem Round Table eingeladen, doch mit einer Ausnahme hätten alle abgesagt. Deshalb seien den Apothekern nur mehr zwei Möglichkeiten geblieben: «Entweder verrechnen wir dem Kunden einen Aufschlag, den er selber zu bezahlen hat oder wir schauen uns nach günstigeren Produkten um.» Alternativen zu den Branchenriesen gibt es nämlich, mit gleicher Qualität und zu deutlich tieferen Preisen. So entschloss sich der Apothekerverein dazu, bei seinen Kunden mit Flyer und Plakaten für günstigere Blutzucker-teststreifen und Messgeräte zu werben. Doch sie hatten die Macht der Branchenriesen unterschätzt. Bayer wandte sich mit einem offiziellen Schreiben ihrer Abteilung Diabetes Care unter dem Titel «Die halbe und die ganze Wahrheit» direkt an die Patienten – deren Namen und Adressen werden oft schon beim Bezug eines Messgeräts registriert. Den Diabetikern wurde mitgeteilt, dass der Grund für allfällige Zuschläge einzig bei den bösen Apothekern und deren Margen zu suchen sei. Das Schreiben gipfelte in der Empfehlung, die Teststreifen künftig online im Shop direkt von Bayern oder einer Diabetesgesellschaft zu beziehen – zum jeweiligen MiGeL-Höchsttarif. BAG gab dem Druck der Lobby nach Der Brief hat seine Wirkung allerdings nicht verfehlt: Seit 1. Juli kosten die Teststreifen für die Krankenklassen wieder mehr, 87.60 Franken. Denn «aufgrund des unzumutbaren Zustandes für uns Apotheker und die Patienten haben wir anfangs 2012 beim Bundesamt für Gesundheit einen Antrag für eine Preiserhöhung gestellt», gibt Claus Hysek unumwunden zu. Sowohl das Bundesamt für Gesundheit (BAG) wie die zuständige Fachkommission stimmten dem Antrag zu: «weil die Patienten und Patientinnen nach der letzten Senkung des Höchstvergütungsbetrages beim Bezug von Blutzuckerteststreifen eine Zuzahlung leisten mussten», begründet Michaela Kozelka vom BAG den Entscheid. Der Apotheker aus dem Berner Jura kann‘s nicht fassen: «Es kann doch nicht sein, dass ein Interessen-Verein beim BAG vorstellig wird, die angeblich zu tiefen Preise anprangert und das Bundesamt die Preise einfach wieder erhöht. So etwas ist grotesk. Denn mit all den günstigeren Mitbewerbermodellen ist nach wie vor eine tolle Marge zu erzielen.» Es brauche nicht die viel zu teuren Teststreifen der Branchenriesen. Dass es billiger geht, hat die Krankenversicherungsvereinigung santésuisse bewiesen. Mit einigen Herstellern wie dynamiCare oder AgeaCare hat sie einen Preis für Blutzucker-Teststreifen von 45 Franken statt den von der MiGeL erlaubten 87.60 ausgehandelt hat. Gegen die MiGeL-Preiserhöhung werde sich santésuisse überdies wehren, denn «dieser Entscheid entspricht nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeits-Kriterien», sagt santésuisse-Sprecherin Silvia Schütz. Kein Anreiz für tiefere Preise Von einem völlig falschen Signal spricht CVP-Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel. Die Nationalrätin hat schon vor acht Jahren erste parlamentarische Vorstösse zur MiGeL-Problematik eingereicht und Wettbewerbspreise verlangt: «Die beste Lösung sähe ich darin, dass das BAG nur die Pflichtleistungen festsetzt, die Preise hingegen von Krankenversicherern mit den Abgabestellen ausgehandelt wird – wie es bei Spitälern, Heimen oder der Spitex der Fall ist», ist sie überzeugt. Solange nur Höchstbeträge festgelegt würden, habe niemand ein Interesse daran, diese nicht auszuschöpfen: «Die Lieferanten haben ihren Preis, die Abgabestellen wollen ihre Magen, den Patienten ist es egal, solange die Krankenkasse zahlt.» Für Toni Bortoluzzi, Gesundheitspolitiker der SVP, liefert das Beispiel einmal mehr den Beweis, dass der Markt bei staatlich festgelegten Preisen nicht spiele. «Hier wäre der Preisüberwacher stärker gefordert. Allerdings müsste er mehr Entscheidungskompetenzen haben, damit es nicht nur bei Empfehlungen bleibt.» Das lässt Toni Bortoluzzi nicht gelten: «Es wäre jetzt Sache des neuen Departementchefs Alain Berset hier Dampf zu machen.» Innerhalb des BAG müssten endlich Prioritäten gesetzt, Kräfte dort gebündelt werden, wo es nötig sei. «Es gibt in diesem Amt Abteilungen, die sich mit viel Unsinnigem beschäftigen. Das müsste man zumindest mal zur Seite Stelle. Dann würden Ressourcen für die wichtigen Aufgaben frei.» Oktober 2012
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