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 Kinderabeit
Steine kommen ins Rollen

 

VON VERA BUELLER

Wenn Stadtingenieur Hansjörg Roth über die neu gepflasterte Gallusstrasse im St. Galler Klosterviertel schreitet, hat er ein gutes Gewissen: An den «Bsetzi»-Steinen unter seinen Füssen klebt garantiert kein Kinderblut. Denn seit 15 Jahren verlangt die Stadt, dass bei ihren Bauprojekten Natursteine nachweislich aus Europa stammen müssen – und schreibt ihre Bauaufträge entsprechend aus. Damit nimmt St. Gallen gegenüber vergleichbaren Produkten aus Asien Mehrkosten von bis zu 200 Prozent in Kauf. «Dafür haben wir die Garantie, dass die Steine nicht unter menschenverachtenden Bedingungen gewonnen wurden», betont Hansjörg Roth. Gemeint sind 80-Stunden-Wochen, Hungerlöhne, Kinderarbeit, Ausbeutung in Lärm und Staub ohne jeglichen Gesundheitsschutz, ohne Sicherheitsmassnahmen.

Die lobenswerte Haltung der St. Galler hat allerdings einen Haken: Sie ist eigentlich illegal. Denn das Abkommen mit der Welthandelsorganisation WTO verbietet die Diskriminierung einzelner Länder – ergo ist auch eine Privilegierung aufgrund des Kriteriums «Made in Europe» nicht erlaubt.

Am meisten ärgert sich Martin Gassner von der Akiuco AG über die Praxis der St. Galler. Der gelernte Sozialarbeiter führt ein kleines Unternehmen mit eigener Produktion in Vietnam, seine Frau ist Vietnamesin. «Bei uns gibt es keine Kinderarbeit, die Arbeiter bekommen einen guten Lohn, sind sozialversichert, haben korrekte Arbeitszeiten mit Pausen und auch die Arbeitssicherheit ist uns wichtig», ereifert sich Martin Gassner. Auch sonst gebe es in vietnamesischen Steinbrüchen keine Kinderarbeit. «Doch in der Öffentlichkeit werden alle Länder und alle Steinbrüche in Asien über einen Leisten geschlagen.» Damit bestrafe man die betroffenen Länder und all jene, die schon seit langem für faire Arbeitsbedingungen kämpften. Martin Gassner setzt sich deshalb für ein Label ein, mit dem man Steine auszeichnet – so wie Eier vom Bio-Bauernhof. top

Strenge Richtlinien

Doch erst seit kurzem existieren international anerkannte Label für ganz Asien. In der Schweiz bieten bereits vier Betriebe zertifizierte Steine an (siehe Kasten) – natürlich gehört Gassner dazu. Nur so wird er auch in Zukunft Steine für den Limmatquai liefern können. Anders als St. Gallen verlangt das Tiefbauamt der Stadt Zürich nämlich nicht «Made in Europe», sondern Steine mit Zertifizierungslabel – egal woher sie stammen. Und noch in diesem Herbst wird die Regierung eine weiter gehende Richtlinie mit Mindeststandards zur sozialen Beschaffung erlassen. Die Botschaft der Stadträtin und Vorsteherin des Tiefbauamtes Ruth Genner ist klar: «Ein nachhaltige Stadt wie Zürich muss sich auch für faire Arbeitsbedingungen einsetzen.»

Immer mehr Gemeinden nehmen diese Haltung ein und weichen von ihrer bisherigen Praxis ab, bei einem öffentlich ausgeschriebenen Auftrag jeweils dem billigsten Angebot den Zuschlag zu geben. Bereits haben sich 30 Schweizer Gemeinden verpflichtet, nur noch dort einzukaufen, wo fair produziert wird. In hundert weiteren Gemeinden und Kantonen sind entsprechende politische Vorstösse hängig. Das ist auf die Hartnäckigkeit des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH zurück zu führen, das letztes Jahr die breit angelegte Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern» lanciert hat. Deren Forderung: Neben dem Preis, der Qualität und Umweltsauflagen sollen auch soziale Kriterien bei öffentlichen Beschaffungen eine Rolle spielen – etwa wenn es um  Textilien fürs Altersheim, Granit für den Strassenbau, Essen für die Schulmensa oder um Bälle für den Sportunterricht geht.

Dass diese Forderungen auch tatsächlich umgesetzt werden können, zeigt die Gemeinde Arlesheim. Als erste Gemeinde hat sie für die gesamte Verwaltung verbindliche Beschaffungskriterien erlassen, die den Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien garantiert. Das gilt ab 2010 für sämtliche Vergaben wie Material- und Geräteeinkauf, Bau-, Planungs-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge sowie Leistungsvereinbarungen. «Jeder Fachbereich wählt die Labels und Kriterien aus, die für ihn relevant sind», erklärt Marcel Leutwyler von der Bauverwaltung. «Damit ist ein erster Schritt hin zu fairen Verhältnissen getan, denn die Nachfrage bestimmt das Angebot».top

Konsumverhalten hat Einfluss

Tatsächlich ist der Einfluss sozialer Beschaffungskriterien auf Entwicklungs- und Schwellenländer nicht zu unterschätzen: In der Schweiz vergibt die öffentliche Hand jährlich Aufträge im Umfang von 36 Milliarden Franken. Den Löwenanteil von 43 Prozent erteilen die Gemeinden. SAH-Präsident und Nationalrat Hans-Jürg Fehr sieht in dieser Nachfragemacht der so genannt ersten Welt die Chance, Druck auf die Lieferanten und Produzenten auszuüben: «Globalisierung heisst eben auch, dass unser Konsumverhalten einen Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Ländern des Südens hat.»

So geraten auch die Schweizer Steinlieferanten unter Druck. «Wir haben uns zertifizieren lassen, weil dies immer mehr Gemeinden bei der Ausschreibung zur Bedingung machen», bestätigt Claudio Schenk von der Inbra AG. In Deutschland verlangten einige Friedhofsverwaltungen sogar den Nachweis, dass ein Grabstein ohne Kinderarbeit hergestellt wurde. Und Marco Spichiger von der Natura Stein AG sagts klar: «Die Zertifizierung bringt uns Marktvorteile».

Noch vor einem Jahr hat es bei den meisten Steinproduzenten anders getönt: «Ja, auch ich war überzeugt davon, dass solche Label nichts bringen. Dies, weil der Natursteinhandel mit seinen Zwischenhändlern, Grossisten, Importeuren und regionalen Anbietern so komplex ist, dass man die Herkunft gar nicht lückenlos prüfen kann», sagt Tobias Eckardt, Präsident des Naturstein-Verbandes Schweiz NVS. Da könne ein Steinbruch in Indien zwar zertifiziert sein, aber wenn dieser Betrieb selber Rohmaterial von irgendwoher zukaufe, stosse die Kontrolle an Grenzen. Dennoch gehört seine Eckardt Naturstein AG nun auch zu den Schweizer Zertifizierungspionieren. Warum? «Heute bin ich überzeugt davon, dass mit den Label ein wichtiger erster Schritt gemacht wird», betont Tobias Eckardt. Es gehe dabei ja nicht «nur» um Kinderarbeit, sondern um faire Arbeitsbedingungen, um Sicherheitsfragen, um Gesundheitsschutz, um die Zulassung von Gewerkschaften – vor allem in China und Indien.

Deshalb hat der NSV seine Herbsttagung dem Thema «Kinderarbeit, soziale Standards und Naturstein-Labels» gewidmet. Die Mitglieder – wie auch interessierte Private – sollen sensibilisiert werden und die international anerkannten Zertifizierungen kennen lernen: Das Managementsystem «Win=Win FairStone», das vom Handel selber initiierte «Indo German Export Promotion» IGEP-Label und «XertifiX».  Benjamin Pütter ist der Label-Vorkämpfer in der Natursteinbranche. Er hat mit XertifiX 2005 begonnen und die teils skandalösen Arbeitsbedingungen in indischen Steinbrüchen aufgedeckt. Noch heute komme es vor, «dass ich auf hart arbeitende Kinder treffe, wenn ich einen Steinbruch unangemeldet besuche.»  Aber die Situation habe sich verbessert. «Die Steine kommen allmählich ins Rollen.»

September 2009 top

 

Trügerische Zahlen

Rund 10 Prozent aller Schweizer Naturstein-Importe stammen gemäss Zollstatistik aus Asien. Aber der Schein trügt: Für die Herkunftsangabe ausschlaggebend ist das Erstverzollungsland. So kommen beispielsweise über 40‘000 Tonnen Strassenbausteine aus Deutschland. Deutschland wiederum führt mehr als die Hälfte seiner Natursteine aus China ein – wo auch indische Steine bearbeitet werden. Ergo dürften etwa 20 bis 30 Prozent der Natursteine im Schweizer Strassenbau asiatischer Herkunft sein.

 

Anständige Verhältnisse

Auch Privatpersonen können Druck ausüben und zertifizierte Produkte verlangen. Keine Angst, das kostet nicht viel mehr: Ein zertifizierter Stein ist maximal 5 Prozent teurer. Doch wer den Labeln nicht traut und auf Nummer sicher gehen will, dass anständige Arbeitsbedingungen herrschen, muss dafür auch anständige Preise bezahlen. So kostet eine Gneis-Gartenbodenplatte aus dem Tessin rund 140 Franken, aus China nur 80 Franken. Der Preis allein besagt indes noch nichts über die Herkunft: Bei Küchenabdeckung bestimmen die Beschaffenheit und Qualität den Preis und nicht die Herkunft – zwischen 300 bis 800 Franken pro Quadratmeter. Indische Steine gehören hier sogar zu den teureren, unabhängig davon, ob sie zertifiziert sind oder nicht.

 

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Hier findet man zertifizierte asiatische Steine:

Eckardt Natursteine AG, Volketswil: www.eckardt.ch

Akiuco AG, Triesen: www.akiuco.com

Natura Stein AG, Zell: www.naturastein.ch

 INBRA AG, Rheineck: www.inbra.ch

Weitere Weblinks:

SAH-Kampagne: www.kehrseite.ch

Interessensgemeinschaft ökologische Beschaffung: www.igoeb.ch

Naturstein-Verband Schweiz: www.nvs.ch

Anerkannte Label für Natursteine:

www.xertifix.de

www.fairstone.win--win.de

www.igep.org