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 Fairer Handel:
Beim Kaffeetrinken die Welt verändern

 

VON VERA BUELLER

Ist Victor Gutierrez tot? Seine Frau Josephina steht inmitten eines wilden Gestrüpps, das einst eine gepflegte Kaffeeplantage im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca war. Ihre Augen suchen immer wieder den nördlichen Horizont ab. Dahinter liegen die USA. Und dort irgendwo muss Victor sein. Er wollte über die grüne Grenze ins Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten gelangen. Das ist Monate her.

«Wurde er an der Grenze geschnappt, vielleicht sogar erschossen?» Die hagere Frau wischt sich mit ihren kleinen, verbrauchten Händen eine Träne aus den Augen. Diese Hände haben Abermillionen von Kaffeekirschen gepflückt, Tausende von Sträuchern gedüngt, bewässert und geschnitten. Solange, bis der Preis für den Rohkaffee derart tief gefallen war, dass die Kosten für Dünger und Wasser den Erlös übertrafen. Hoffnungslos verschuldet wird Josephina nun nach Oaxaca de Juárez ziehen – und die Armut auf dem Land mit dem Elend in der Stadt tauschen.

Sie erzählt, dass Oaxaca de Juárez bei den Indianern « huaxyacac» genannt wurde. Das heisse so viel wie «Die mit den Früchten in der Nase» – eine Anspielung auf die üppige Vegetation dieser Kaffeeanbauregion. Doch deren Wert hängt heute nicht von der Fruchtbarkeit, sondern von einer Zahl ab: dem Weltmarktpreis für ein Pfund blassgrüner Bohnen. Denn Kaffee ist nach Erdöl das zweitwichtigste Rohprodukt auf dem Weltmarkt und wird wie Aktien an der Börse in New York (Sorte Arabica) und London (Sorte Robusta) gehandelt. Sein Preis steigt und fällt, fällt und steigt. 1997 war der Rohkaffe so teuer wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dann fiel er im Laufe von fünf Jahren von über 400 auf 41 US-Cent pro Pfund (454 Gramm).

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Erfolg lockt Konkurrenz an

Wie war das möglich? Der starke Anstieg des Preises hatte neue Produzenten auf den Plan gerufen – namentlich in Vietnam. Gleichzeitig rationalisierten die Brasilianer ihre Anbaumethoden. Das führte zu einem strukturellen Überangebot. Es war der Beginn einer Spirale, die Hunderttausende von Bauern in Armut – oder in den Drogenanbau – trieb. Um zu Überleben sparten viele Produzenten bei den Kosten, was zulasten der Qualität ging. So mussten die Kaffeemultis erkennen, dass niedrige Rohkaffeepreise nicht nur schlecht für die Bauern sind, sondern auch fürs Geschäft von Nestlé, Kraft, Sara Lee oder Tschibo.

Deshalb setzten sie sich zusammen mit Nichtregierungsorganisationen (NGO), Gewerkschaften, Produzenten, Händlern und Röstern an einen Tisch. Insgesamt kamen 70 Vertreter und jeder verteidigte seine jeweiligen Interessen. Das Resultat ist nicht weiter verwunderlich: «Minimal- und nicht Maximalanforderungen wurden im so genannten Common Code für the Coffee Community (4C) formuliert*. Und es ist nicht die Absicht, bei diesem Projekt die Preise zu gestalten, da spielt weiterhin der Markt», erklärt Hans-Peter Egler vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco). Die Bauern sollten jedoch einen besseren Zugang zum Markt bekommen, eine Abnahmegarantie – sofern die Qualität stimme. «Dazu erhalten sie die entsprechende Schulung: Wie man Pflanzen auswählt, sie pflegt, erntet, verarbeitet und wie man die Umwelt dabei schont.»

Die Schweiz unterstützt dieses Projekt «weil wir uns nicht nur in Nischenmärkten engagieren wollen, sondern auch bei der Förderung der Nachhaltigkeit in Mainstream-Märkten. Davon ist eine weit grössere Breitenwirkung zu erwarten als wenn wir nur das Hochpreissegment von Bio- und Fair-trade-Produkten anpeilen», sagt Egler.

Es geht bei 4C also ausdrücklich nicht um Fair-Trade-Bohnen à la Max Havelaar, die gerade mal 1 bis 2 Prozent des weltweit gehandelten Kaffees ausmachen, sondern um Qualitäts-, Sozial- und Umweltstandards für den gewöhnlichen Espresso und Milchkaffee. Wie man den Mainstream-Markt nachhaltiger gestalten kann, wird auch Thema sein an der internationalen «Fair Trade Fair», die am 31. August in Bern stattfindet.

«Jede Bestrebung in Richtung nachhaltig und fair, die kontrollierbar und transparent ist, sollte willkommen sein – aus welchen Gründen auch immer sie lanciert wird. Wenn die Supermärkte Bio-Bananen oder Natura-Fleisch verkaufen, tun sie dies auch nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern weil sie damit Geld verdienen», sagt Ose Nielsen von der Fair Trade Labelling Organizations International (FLO) in Bonn.

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Kritik von Seiten des fairen Handels  

Damit widerspricht sie vielen Ideologen aus den eigenen Reihen. Vor allem die NGOs werfen nämlich den Kaffeemultis vor, sie würden 4C nur als Instrument für Gratis-PR nutzen. Immer mehr Organisationen steigen nun aus dem 4C-Prozess aus. Damit verlieren sie zwar an Einfluss, schwächen aber auch bewusst die Glaubwürdigkeit der Initiative.

Allen voran zerpflückt Walter Zwald , der ehemalige Präsident des Schweizer Kaffeehändlerverbandes, bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Projekt: «Die Kaffeemultis wollen den Bauern einseitig einen Kodex mit Produktionsauflagen aufbrummen, von dem nur sie – die Multis – profitieren.» Er hat selber eine alternative Initiative lanciert: Pro Sack Kaffe à 60 Kilo sollen die grossen Röster einen Dollar in einen Fonds einzahlen. So kämen rund 70 Millionen Dollar pro Jahr zusammen, die einerseits in soziale Projekte und in die Ausbildung der Kaffeebauern in den Anbaustaaten und andererseits ins Marketing zur Kaffeekonsumsteigerung verwendet werden sollen.

Seine Idee liesse sich durchaus mit 4C kombinieren. Vorerst ist sie aber noch ein Papiertiger, während 4C immerhin schon mit einigen Pilotprojekten auf seine Praxistauglichkeit hin geprüft wird. Was viele NGOs mit Argwohn beobachten: Sie fürchten vor allem ein 4C-Label auf der Kaffeeverpackung: wegen der Verwechslungsgefahr mit echten Fair-Trade-Produkten.

August 2005

* Dies der Stand 2005. Inzwischen haben die an der Entwicklung des Verhaltenskodexes beteiligten Akteure zusammen mit weiteren eine eigenständige «4C Association» gegründet – einen Verein für mehr Nachhaltigkeit im Kaffeesektor. Mitglieder dieses Vereins sind Kaffeeproduzenten, Kaffeeröster, Händler und zivilgesellschaftliche Vertreter. Die 4C-Produzenten verpflichten sich, keine inakzeptablen Praktiken anzuwenden – wie z. B. Kinderarbeit oder das Abholzen von Regenwäldern. Gleichzeitig verpflichten sie sich, ihre Praktiken weiter zu verbessern. Die Mitglieder von Industrie und Handel finanzieren nicht nur den Verein, sondern sich auch für den Kauf/Verkauf des nach den 4C-Kriterien produzierten Kaffees ein. Mehr dazu...

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Wenige Konsumenten und Konsumentinnen wissen, dass vom Preis, den sie an der Kasse für ihren Kaffee bezahlen, nur ein Bruchteil den Kaffeebauer erreicht. Der Rest wird vom Zwischenhandel in den Produktionsländern, vom internationalen Kaffeehandel, von den Röstern und vom Detailhandel eingesteckt. Die beiden Tabelle des konventionellen Handels zeigen den Unterschied, was dem Bauer bei einem niedrigen (60 cent) und einem normalen (110 cent) Weltpreis bleibt.

Preiszusammensetzung von 1 kg Arabic-Kaffee
(in Schweizer Franken / 1 US-Dollar = 1,28 Franken)

Max Havelaar

Konventioneller Handel

 

Preis* unabhängig vom Weltmarktpreis

Weltmarktpreis:
60 cent*
(für 454 g)

Weltmarktpreis:

110 cent*
(für 454 g)

Kleinbauer Max Havelaar,

resp. unorganisierter Kleinbauer

2.49

1.01

1.86

Kooperative Max Havelaar
resp. Aufbereitung und Zwischenhandel

 

1.07

0.67

 

1.24

Free-on-bord-Preis FOB
(bis zur Verschiffung)

3.55

1.69

3.10

Seetransport/Versicherung

0.20

0.20

0.20

Importabgaben

0.40

0.40

0.40

Röstverlust ca. 15%

0.62

0.34

0.55

Rösten / Verpacken ca.

2.50

2.50

2.50

 

Gestehungspreis

7.27

5.13

6.75

Handel: Lager, Distribution, Werbung, Steuern, div. Margen ca.

5.33

6.87

5.25

Max Havelaar-Linzenzgebühr

0.40

0.00

0.00

Ladenpreis**

13.00

12.00

12.00

 

Fonds-Zwald:

Plus 3 Rappen/1kg gerösteter Kaffee auf dem Endpreis des konventionellen Handels (= 0,025 Rappen pro Tasse Kaffee)

* Der Mindestpreis bei Fair-Trade-Kaffe beträgt derzeit 126 cts für 454 g Kaffee, für Bio-Kaffee gibt es +15 US-cts. Steigt der weltweite Kurs des konventionellen Handels über den Mindestpreis, wird der Fair-Trade-Einkaufspreis um 5 Cents über dem Weltmarktpreis angesetzt.

**Der Ladenverkaufspreis variiert stark je nach Marke/Hersteller/Aktion etc.; wir haben einen durchschnittlichen, aktuellen Verkaufspreis im Laden gewählt.

 

Links:

 

 

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