Grüntee -> Mehr Fotos zum Thema (3,5 Mega), © Fotos Remy Steinegger VON VERA BUELLER Plötzlich diese Ruhe. Rundherum nichts als üppige Vegetation. Palmen, Bambushaine, Kastanienbäume, exotische Sträucher, opulente Magnolien, Kamelien und Oleander. Überall wo Platz war für ein Samenkorn, das zufällig hingeweht wurde, blüht es. Zu Füssen liegt der Lago Maggiore, von dem ein laues Lüftchen den Berg hinauf zieht: So stellt man sich das Paradies vor. Und dieses Paradies hat Peter Oppliger auf dem Monte Verità, dem Berg der Wahrheit, hoch über Ascona gefunden. Fast ehrfürchtig durchschreitet er nun die kleine, sanft abfallende Waldlichtung, auf der etwa tausend kleine Büsche in Reih und Glied stehen. Ein ungewohntes Bild inmitten dieser wild wachsenden Natur. «Das ist die Teeplantage», erläutert Peter Oppliger mit unverkennbarem Stolz: Es ist sein Werk. Vor vier Jahren hat der heute 68jährige den Grundstein dazu mit einer Miniplantage auf der Brissago-Insel gelegt. «Ich wollte zuerst testen, ob sich das hiesige Klima für den Teeanbau überhaupt eignet.» Bald wurde klar: Die subtropischen Bedingungen sind ideal. Ein mystischer Berg So folgte postwendend die Expansion auf den Monte Verità. Es ist ein mystischer Berg mit einer bewegten Geschichte, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit der Gründung der «vegetabile Cooperative» begonnen hat. Die Kolonie wurde zur Anlaufstelle für Aussteiger, Weltverbesserer, Feministinnen, Künstler und Tiefenpsychologen, die nach der Wahrheit des Lebens suchten. Man baute Licht- und Lufthütten, pflanzte eigenes Gemüse an, ernährte sich vegetarisch, tanzte nackt durch die Gärten und lebte fröhlich alternativ. Von den Einheimischen im damals verschlafenen Dörfchen Ascona wurde der Monte Verità fortan der «Berg der Narren» genannt. Tempi passati. Und doch erinnert noch vieles an die Vergangenheit. So gab es auch schon früher ein Teehaus auf dem Monte Verità. «Aber heute wird hier nicht einfach Tee getrunken, sondern Teekultur zelebriert», betont Peter Oppliger. Und nun sprudelt all sein Tee-Wissen förmlich aus ihm heraus: Die Stammpflanze des Tees heisst Camellia sinensis – wie der Name sagt, ist es eine spezielle Kameliensorte. Sie wächst normalerweise nur in subtropischen Zonen Asiens, Russlands und Afrikas. Die spitzen Blätter des immergrünen Strauches werden von April bis Oktober gepflückt. Und was nur Teeliebhaber wissen: Aus der Pflanze macht man sowohl Schwarz- wie Grüntee. «Der Unterschied liegt nicht an verschiedenen Blättern, sondern an deren Verarbeitung. Vor dem Trocknen wird Schwarztee fermentiert, Grüntee hingegen nicht», erklärt Oppliger. Mit dem Aufbrechen der Blätter und der Oxidation würden dem Schwarztee viele wertvoller Inhaltsstoffe entzogen. Einzig das Koffein bleibe enthalten. Beim Grüntee sei das ganz anders. Das Teehaus «Loreley» Inzwischen sind wir im Laboratorium angelangt, das sich im Teehaus namens «Loreley» befindet. Beim Betreten bimmelt leise ein Glöckchen. Der im japanischen Stil ausgestattete Raum ist angenehm kühl und verbreitet ein Gefühl absoluter innerer Ruhe. Hier finden regelmässig japanische Teezeremonien statt und eine kleine Ausstellung gibt Auskunft über die Geschichte sowie den Anbau und die Verarbeitung von Tee. Es hat auch einen Verkaufsraum mit einem grossen Angebot an exklusiven Grüntees und Tee-Zubehör sowie 20 bis 40 cm hohen jungen Pflanzen. Nun ist der gelernte Drogist Oppliger so richtig in seinem Element. Er eilt flugs ins Freie, kehrt mit einigen frisch gepflückten Teeblättern zurück, legt sie in ein Sieb und hält dieses kurz über den Dampf kochenden Wassers: «Nur in Japan werden die Blätter gedämpft, in China meist hingegen in grossen Woks erhitzt», erklärt er. Wichtig sei bei beiden Verfahren, dass die Verarbeitung gleich nach der Ernte geschehe. «Damit verhindert man, dass das Teeblatt an der Luft oxidiert – eine Gärung, die so genannte Fermentation, findet also nicht statt.» Seine Vorführung wird abrupt unterbrochen: «Il dottore» ist gekommen. Mit ihm, dem Hautarzt Paul Bigliardi, hat Peter Oppliger eine geheimnisvolle Salbe gegen Juckreiz entwickelt. «Jeder Mückenstich hört damit sofort auf zu jucken», versichert die Frau des Arztes. Die genaue Zusammensetzung der Salbe wird freilich nicht preis gegeben. Nur eines ist klar: die Creme enthält Grüntee. Und Oppliger strahlt übers ganze Gesicht. Grüntee, der Tee unserer Zeit Woher diese Begeisterung für den Grüntee? «Auf ausgedehnten Reisen durch Indien bin ich mit der Pflanze des Schwarz- und Grüntees in Kontakt gekommen. Für mich ist es eine der faszinierendsten Heilpflanzen.» Und dann fügt er mit einem vielsagenden Schmunzeln hinzu, dass Grüntee der Tee unserer Zeit sei. «Er hilft bei fast allen Zivilisationskrankheiten. Wer täglich fünf bis sieben Tassen davon trinkt, tut sich viel Gutes.» Schon in seiner Apotheke in Luzern, die er vor vier Jahren verkauft hat, hatte sich Oppliger auf Naturheilmittel spezialisiert. In Asien ist Tee als gesundheitsfördernder Kräuteraufguss schon seit rund 5000 Jahren bekannt. Mittlerweile gehört Grüntee zu den wissenschaftlich bestuntersuchten Getränken der Welt. Forscher entdeckten in den getrockneten Blättern über 400 verschiedene Inhaltsstoffe. Das Getränk soll, regelmässig genossen, das Altern und Entzündungen hemmen, gegen Karies vorbeugen, hohen Cholesterinspiegel senken und die Schädlichkeit von Nikotin und Teeröl mindern. Auch Krebsforscher stimmen in die Lobeshymne ein. Bei Peter Oppliger tönt es etwas vorsichtiger: «Er steigert das Lernvermögen, wirkt antidepressiv, durchblutungsfördernd, antirheumatisch, beugt Arteriosklerose vor, ist reich an Spurenelementen.» Wie der Rotwein enthalte nämlich auch der Grüntee so genannte Katechine. Es muss schon etwas dran sein, an diesem Zaubertrank. Jedenfalls haben die Japaner die höchste Lebenserwartung und sie trinken den ganzen Tag Grüntee. Nur ist Teetrinken nicht gleich Teetrinken, wie Peter Oppliger in der Stuf (dem Wohnzimmer) des Teehauses sogleich demonstriert. Primär gehört dazu, dass man sich Zeit nimmt. In Japan zelebrieren Zen-Mönche das Teetrinken gar während Stunden. Einen Eindruck davon bekommt man auch auf dem Monte Verità vermittelt: Die Zeremonie beginnt im Freien mit dem Durchschreiten des japanischen Portals. Hier soll man alle Sorgen des Alltags hinter sich lassen. Über einige Stufen steigt man durch die Plantage zum Pavillon und zum Zen-Garten. Der Zen-Garten Somyoshji in Kamakura diente als Vorbild: Jeder Stein hat eine Bedeutung und das «Zeichnen» im Sand ist Meditation. Es ist ein Ort der Ruhe und Besinnung. Grüntee ist nicht gleich Grüntee Nach einem genau geordneten Ablauf erfolgt dann im Teehaus die Zubereitung des Tees: Zuerst werden alle Utensilien bereit gelegt, das Wasser wird in einem mit Holzkohle vorgewärmten Krug (Kama) erhitzt und das Teepulver mit einem Bambus-Pinsel schaumig gerührt. Anschliessend beginnt das rituelle Servieren des Grüntees. Es handelt sich um die exklusivste Sorte, den «Mattcha». Sogleich merkt man, dass er nichts mit dem zu tun hat, den man sonst in einem Restaurant als Grüntee serviert bekommt. Er ist weder fad noch sonderlich bitter – einfach nur gut. «Die Zubereitung macht‘s aus», weiss Peter Oppliger (siehe Kasten). Doch welches sind die Qualitätsmerkmale für einen guten Grüntee? «Wenn er aufgegossen ist, darf er niemals braun oder bräunlich sein und nicht nach Heu riechen.» Und natürlich kommt es auch auf die Sorte an. Weltweit sind rund 200 Grüntees auf dem Markt. Jede besitzt zwar die gleichen wertvollen Inhaltsstoffe. Aber nicht jeder Grüntee enthält gleich viel Koffein. Jener, der im Schatten wächst und jung geerntete wird, ist reich an Koffein. «Bancha» zum Beispiel hat wenig Koffein. «Ein idealer Familientee», meint Oppliger. Einsteigern empfiehlt der Grüntee-Experte einen Sencha. «Das ist der meistgetrunkene Tee in Japan.» Oppligers persönlicher Favorit ist der «Guricha», der das Wasser tief grün färbt. «Kann ich etwas Zucker haben?», hört man plötzlich eine Besucherin fragen, die im Raum nebenan ebenfalls Tee degustiert. Welch ein Frevel! Doch seelenruhig geht Oppliger zu der Italienerin und erklärt ihr, wie man Grüntee trinkt. Und das ist es, was er mit seiner Plantage erreichen will: aufklären, den Grüntee populär machen. Eine kommerzielle Teeproduktion wird es auf dem Monte Verità trotz des ersten Anbauerfolgs nie geben. Die erste Ernte lag bei 500 Gramm. «In einigen Jahren werden wir mit zwei bis drei Ernten pro Jahr rund 20 Kilo produzieren», meint Oppliger. Dieser Tee ist aber ausschliesslich für Studienzwecke, Seminarien und für den Direktverbrauch auf dem Monte Verità bestimmt. Und bei alle dem gilt stets das, was auch im Zentrum der Teezeremonie steht: «Die Vermittlung der vier Prinzipien Harmonie, Respekt, Reinheit und Ruhe.» September 2008 Informationen: Öffnungszeiten Teehaus auf dem Monte Verità: Besichtigung und Führung inklusive Teezeremonie: Dauer ca. 1,5 Stunden, sfr 38.-, Studenten sfr 19.- Teezeremonie: Web-Links:
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