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 Gastkritik:
Bruder Hitler auf Leinwand und Bildschirm

Der Film “Der Untergang” und sein Hauptdarsteller haben prominente Vorgänger.
Schon Erich Maria Remarque schrieb ein Drehbuch über die letzten Tage im Führerbunker.

VON WOLFGANG J. RUF

 Für Filme wird auch heute geworben, als sei das Kino noch immer auf dem Jahrmarkt zuhause. Das unerhörte, noch nie gezeigte und gewiss ein Tabu verletzende Ereignis gilt noch allemal als die besonders erfolgversprechende Attraktion – gerade auch, wenn’s um die jüngere deutsche Vergangenheit geht. So macht der Reklamerummel um den Film “Der Untergang” von Bernd Eichinger (Produktion und Drehbuch) und Oliver Hirschbiegel (Regie) glauben, dass hier die Figur Hitlers erstmals auf seriöse Weise zum Leben auf der Leinwand erweckt worden sei und die letzten Tage im Bunker der Reichskanzelei endlich in authentischer Rekonstruktion dem neugierigen Zuschauer preisgegeben würden. Doch der verbreitete Eindruck, dass Hitler im Film bislang nur peripher aufgetreten sei, im verschämten Schrägblick von hinten oder in gehörigem Abstand, mag zwar für eine Reihe von Filmen etwa aus der deutschen Produktion der 50er Jahre zutreffen, stimmt aber doch nicht ganz.

Auch jenseits von Hans-Jürgen Syberbergs siebenstündigem, surrealistisch übersteigeretem “Hitler, ein Film aus Deutschland” von 1977 mit gleich mehreren Hitler-Darstellern oder Christoph Schlingensiefs reichlich verqastem Panoptikum “100 Jahre Hitler-Die letzte Stunde im Führerbunker” und diesseits von Charlie Chaplins genialer Hitler-Entlarvung in “Der grosse Diktator” und anderen Annäherungen mehr oder weniger vernichtender Komödiantik an das Phänomen Hitler gab es immer wieder filmische Versuche, Hitler als historische Figur zu fassen. Erst kürzlich brillierte auf dem Bildschirm (erstaunlicherweise bei RTL 2) der englische Schauspieler Robert Carlyle in dem zweiteiligen Fernsehfilm “Hitler-Aufstieg des Bösen” von Christian Duguay, zwar nicht so sehr auf Ähnlichkeit getrimmt, auch keine besonders fein ziselierte Charakterisierung liefernd, aber doch eine treffliche Typisierung des Aussenseiters und Parvenus. Der Film des kanadischen Regisseurs zeigt historisch akkurat den Weg des egomanischen Jünglings, sich verkannt wähnenden Künstlers und gemeinen Frontsoldaten zur Macht und beleuchtet besonders aufschlussreich Hitlers Münchner Jahre, etwa seine spannungsreiche Beziehung zum Verlegerspross Ernst Hanfstängl (der zunächst Hitlers Mann für die Auslandspresse und dann Roosevelts Berater wurde) und dessen amerikanischer Frau Helene, die Hitler 1923 vom Selbstmord abgehalten haben soll. Auf jeden Fall vermittelt dieser letztes Jahr entstandene, bemerkenswert sorgfältig gestaltete und auch historisch akkurate amerikanisch-kanadische Film mehr zum Verständnis des historischen Hitler und seines Aufstiegs als ein Film über dessen letzte Tage wie “Der Untergang” das vermag.

Hitler als Mensch: nichts Neues

Diesem Schlussakt im belagerten Berlin galt allerdings auch schon 1973 der italienische Film “Hitler-Die letzten zehn Tage” von Ennio de Concini mit Alec Guiness als Hitler, gewiss eine schauspielerisch interessante Studie, und Doris Kunstmann als Eva Braun. Ebenso George Schaefers amerikanischer Fernsehfilm “The Bunker” von 1981 mit dem sicherlich auch hier beeindruckenden (und für diese Rolle mit dem Emmy Award ausgezeichneten) Anthony Hopkins als Hitler. Ob diese Filme hierzulande überhaupt je zu sehen waren, ist fraglich, grosse Erfolge waren sie jedenfalls nicht. Aber sie belegen, dass die letzten Tage im Führerbunker schon mehrfach als Stoff für filmische Rekonstruktionen und Spekulationen dienten – und Schauspieler von Rang immer wieder in die Hitler-Maske schlüpften. Auch der DDR-Schauspieler Fritz Dietz wäre da zu nennen, der im sojetischen Studios gar zum Stammgast für Hitler-Darstellungen avancierte – oder Armin Müller-Stahl, der mit sich selbst als Hitler 1996 das gespenstische Kammerspiel “Gespräch mit dem Biest” inszenierte. Bruno Ganz ist also der erste nicht, der Hitler als Menschen darzustellen versucht, wenn auch als “reichlich peinliche Verwandtschaft”, um Thomas Manns Essay “Bruder Hitler” von 1938 zu zitieren.

Erfolglos beim deutschen Publikum, aber doch der interessanteste Vorläufer des Films “Der Untergang”, der derzeit über Gebühr Furore macht, ist der Film “Der letzte Akt”, eine österreichische Produktion aus dem Jahre 1955. Sein Regisseur Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) zählt zu den grossen Gestaltern des deutschen Films, schon mit Stummfilmen wie “Die freudlose Gasse”, dann im frühen realistischen Tonfilm mit dem pazifistischen Appell “Westfront 1918”, dem Solidaritätsaufruf “Kameradschaft” und der Brecht-Weill-Adaption “Die Dreigroschenoper”. Fast schon auf dem Weg von Frankreich nach Hollywood, wo Pabst schon früher gearbeitet hatte, kehrte der Emigrant 1939 nach Deutschland zurück, wo er unter anderen die Filmbiographie “Paracelsus” (1943) drehte. “Der letzte Akt” ist einer seiner letzten Filme; kurz darauf, ebenfalls 1955, entstand unter seiner Regie auch “Es geschah am 20. Juli”, ein geradezu dokumentarisch wirkender Film über den Ablauf des Attentats mit Bernhard Wicki als Stauffenberg.

Wie eine Ratte im Keller gestorben

Auch “Der letzte Akt” besticht durch das sichtliche Bemühen um akribische Authentizität. Grundlage war der 1950 erschienene dokumentarische Bericht “In zehn Tagen kommt der Tod. Augenzeugen berichten über das Ende Hitlers” von Michael A. Musmanno, der bei den Nürnberger Prozessen als Richter mitwirkte. Die wichtigste Arbeit am Drehbuch leistete kein anderer als der berühmte Romancier Erich Maria Remarque (1898-1970), der Autor von “Im Westen nichts Neues” und “Arc de triomphe”. Er kontrastierte die historischen Figuren, Hitler, seine Paladine und sein Personal, in dem auch schon die Sekretärin Junge eine Rolle spielt, wirkungsvoll mit der fiktiven Figur eines (im Film von Oskar Werner gespielten) Hauptmanns, der im Führerbunker Verstärkung für die nahe Front anfordern soll und völlig desillusioniert wird. Aus seiner Absage an den Kadavergehorsam gewann der Film wohl damals seine polemische Aussage in der Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung. Doch Remarque ging es, ähnlich wie schon Musmanno mit seinem Bericht, auch darum, gegen den Mythos vom Weiterleben Hitlers anzugehen. “Die Gefahr des Neonazismus ist kein dummes Gerede. Wir müssen zeigen, dass Hitler wie eine Ratte im Keller gestorben ist”, zitiert ihn am 9. Februar 1955 das Magazin DerSpiegel, das, wie so viele andere Medien damals, die Entstehung dieses Films sehr skeptisch verfolgte. In einer Zeit, als Hitler und sein Regime den meisten Kinobesuchern noch präsent war, mochte das Sinn machen. Wo indes, abesehen vom kommerziellen Erfolg, die Absicht des heutigen Films liegt, ist trotz vieler Interviews der Beteiligten unklar. Dass die Filmemacher des “Untergangs”, die aus Pabst Film so viel gesaugt haben, sich dabei über die moralischen Absichten von Pabst, Remarque und ihrem Produzenten Carl Szokoll, der auch die weitgehend kampf- und zerstörungslose Übergabe von Wien an die sowjetische Armee bewerkstelligt hatte, mokieren, ist schon schofel.

Ein Film mit diesem Sujet steht und fällt letztendlich mit dem Hauptdarsteller. Die Bravourleistung von Bruno Ganz als Hitler in “Der Untergang” mag beeindrucken, zumindest auf den ersten Blick und dank der gekonnten Maske. Doch seine intensive, manchmal auch bloss virtuos ausgestellte Einfühlung rückt Hitler in allzu unangenehme Nähe. Wollen wir wirklich sehen, wie Hitlers Träne quillt, wenn Albert Speer sich verabschiedet? Speer erzählt von dieser Träne zwar in seinen Memoiren, aber solche Sentiments stehen diesen historischen Szenen doch nicht zu – und breit ausgespielt werden sie zur Zumutung, wie so vieles andere im Film von Eichinger/Hirschbiegel, die das schäbige Geschehen immer wieder mit pastosen, an Liszt und Wagner erinnernden Trauerklängen zu überhöhen trachten. Nicht zuletzt die so ausdauernd zelebrierte Tötung der Goebbels-Kinder, die doch allzu sentimental ablenkt von all den nicht mit solcher Behutsamkeit in den Tod geleiteten Kindern, ob in Konzentrationslagern, bei Bombenangriffen oder auf Flüchtlingtrecks. In dem Film “Der letzte Akt” – dieser Titel ist doch weitaus treffender, weil sachlicher als der des heutigen Films – wird Hitler von dem hochrenommierten Albin Skoda (1908-1961) gegeben, dem feinsten Vertreter hoher Sprechkultur und psychologischer Delikatesse im damaligen Ensemble des Wiener Burgtheaters. Ihm gelingt der auch heute noch sehenswerte Balanceakt, Hitler als Mensch, auch an der Welt und vor allem sich selbst leidenden Menschen, darzustellen und dabei doch in erhellender Distanz zu halten. Er gewinnt durchaus die Schärfe von Ganz‘ Charakterisierung, vermeidet aber völlig dessen mimische Aufdringlichkeit.

Orgien in der Kantine des Bunkers

In deutschen Kinos wollte man diesen Film damals nicht sehen, aber er war wohl der bis dahin grösste Exporterfolg des deutschen Nachkriegsfilms; “Der letzte Akt” wurde in 52 Länder verkauft. Die Merkwürdigkeiten um diesen auch heute noch bemerkenswerten, aber öffentlich nicht greifbaren, kaum je im Fernsehen auftauchenden und auch in der Filmliteratur völlig vernachlässigten Film sind damit noch längst nicht alle aufgezählt. Die Filmbewertungsstelle der Länder (FBW), die für die steuermindernden Prädikate Wertvoll und Besonders wertvoll zuständig ist, vergab an den Film “Der letzte Akt” seinerzeit keine derartige Auszeichnung. “Es ist dem Bewertungsausschuss nicht möglich, die Handlung auf ihre historische Wahrheit zu überprüfen”, hiess es durchaus befremdlich anmutend im Gutachten von 1955, und weiter: “Die im Drehbuch niedergelegte Ansicht über die handelnden Personen, im wesentlichen Hitler und sein Gefolge, ausserdem die Wehrmachtsführung, steht dabei in vielem zu sehr in einem bis jetzt historisch nicht ganz überblickbaren Raum.” Man störte sich auch daran, dass Pabst zeigte, wie sich Wachpersonal, Krankenschwestern und Personal des Führers mit Alkohol und Sex betäubten: “Die breite Ausspielung der Orgien in der Kantine des Bunkers” sei “nicht genügend motiviert und lasse den Verdacht einer bewussten Meinungslenkung zu.” Aus heutiger Sicht ist da allerdings nicht mehr als eine biedere Schunkelei, ein wenig Gegröhle und ein bisschen Ringelpietz mit Anfassen – während es im heutigen Film doch gelegentlich eher wie bei einer mondänen und richtig dekadenten Orgie zugeht, was wohl historisch weniger richtig ist, aber auf den heutigen Zeitgeschmack schielt.

Die Ablehnung von damals schloss mit dem Satz: “Der Bewertungsausschuss ist der Meinung , dass die durchschnittlich gute filmkünstlerische Leistung eines so zeitnahen und in der Diskussion der jetzt lebenden Generationen so ungeklärten Zeitablaufes allein keinen prädikatisierungswürdigen Film ergeben hat.” Das war 1955. Ein halbes Jahrhundert später klingt das ganz anders: “Der Untergang”, über weite Strecken nur ein sentimental aufgeplustertes Remake von “Der letzte Akt” wurde mit dem höchsten Prädikat Besonders wertvoll ausgezeichnet: “Mit grossem Verantwortungsbewusstsein nach historischen Quellen erstelltes Epos über die letzten Tage und Stunden des III. Reiches. Ein sehr ernsthafter, grosser Film, dem Respekt gezollt werden muss,” heisst es im heutigen FBW-Gutachten. Wo damals wohl klamme Berührungsangst gegenüber diesem Sujet waltete, herrscht heute schier unkritische Zustimmung. Dieser Unterschied mag bedacht werden, er ist zeitgeschichtlich aufschlussreich.

© Wolfgang J. Ruf, Okt 2004

 

 

 

 

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