Zur Frontpage 

1 Schritt zurück Inhalt Kultur

Pfister Museo Vela:
Der Futurismo hat Schweizer Wurzeln

 

VON VERA BUELLER

 Die Veranstaltungen begannen grundsätzlich mit Beleidigungen und Beschimpfungen, die sich gegen die Bewohner und die Stadt richteten, in der  das Gastspiel stattfand. Anschliessend wurde ein Manifest verlesen, Kunst gezeigt, Musik und Theater gespielt. Und die Abende waren aus Sicht der Autoren nur dann erfolgreich, wenn es zu Tumulten kam, Sicherheitskräfte einschreiten mussten und das Medienecho entsprechend gross war.

Was sich wie eine moderne Guerilla-Marketingstrategie anhört, spielte sich in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Italien ab und war Teil der Futurismus genannten neuen Kunstrichtung. Die avantgardistische Bewegung wollte mit der kulturellen Vergangenheit Italiens brechen, dem Land eine neue Identität verleihen und war von Anfang an als provokativer Tabubruch konzipiert: Jugend, Aggressivität, Gewalt, Krieg, Rücksichtslosigkeit wurden verherrlicht, die Zerstörung von Bibliotheken, Museen sowie Akademien als Hort einer überlebten Anschauung gepriesen.

Der Futurismus hatte – trotz seiner ideologischen Nähe zum italienischen Faschismus – grossen Einfluss auf unterschiedliche Strömungen der Moderne wie Expressionismus, Dadaismus, Vortizismus, Art Déco, Surrealismus und Konstruktivismus. In jüngster Zeit erlebt er sogar, nicht nur in Italien, eine Renaissance.top

Ausstellung zum richtigen Zeitpunkt

Zum richtigen Zeitpunkt – unmittelbar nach dem 100 Jahr-Jubiläum des Futurismo-Gründungsmanifets von 1909 und dem 150-Jahr-Jubiläum der Ausrufung des Königreichs Italien von 1861 – führt das Museo Vela eine wichtige Ausstellung zum Futurismus durch. Das in der Deutschschweiz wenig bekannte Museum, im Besitz des Bundes und unmittelbar an der italienischen Grenze im malerischen Ligornetto gelegen, eröffnet am 3. Oktober 2010 eine Ausstellung mit Werken Federico Pfisters.

Der Sohn einer bedeutenden Schaffhauser Familie, die seit mehreren Generationen in Italien geschäftlich tätig war, gehörte zum engen Kreis der italienischen Futuristen. Er selbst wurde 1898 in Neapel geboren. Pfister studierte Kunstgeschichte bei Heinrich Wölfflin in München, absolvierte ein Archäologie-Studium in Florenz, war als Architekt in Rom tätig, kommentierte und übersetzte bedeutende kunsthistorische Schriften aus dem Deutschen ins Italienische (1942 Il Bello nell'arte von J. J. Winckelmann und 1952 Il Cicerone von J. Burckhardt). Auch verfasste er verschiedene, viel beachtete philosophische Abhandlungen.
Vor allem aber war Federico Pfister ein interessanter Maler, weshalb sich die Ausstellung im Museo Vincenzo Vela hauptsächlich auf diesen Aspekt seiner künstlerischen Laufbahn konzentriert. Nachdem er sich bereits 1917 dem Futurismus zugewandt hatte, nahm er in den frühen zwanziger Jahren den Künstlernamen «De Pistoris» an, unter dem er neben Prampolini, Pannaggi, Depero und Paladini einer der wichtigsten Vertreter des «Futurismo Meccanico» wurde. Der Abdruck von Pfisters Arbeiten in den ersten beiden Heften der zweiten Serie der Zeitschrift Noi in den Jahren 1923-1925 und seine Teilnahme an der Biennale Romana in Rom 1925 belegen das hohe Ansehen, das der Künstler zu jener Zeit genoss.

Die Ausstellung im Museo Vincenzo Vela, übrigens das zweitgrösste Museum des Bundes und vor einigen Jahren von Mario Botta aufwändig restauriert, dokumentiert das künstlerische Schaffen Federico Pfisters mit über 120 Werken, darunter Zeichnungen, Skizzenhefte, Aquarelle, Ölmalereien und vorbereitende Studien auf Leinwand für einen Freskenzyklus, der allerdings nie in die Tat umgesetzt wurde. Zu sehen ist auch eine Briefmarke, die die italienische Post zum hundertsten Jahrestag des Futurismus 2009 herausgab und ein Gemälde «De Pistoris» zeigt.

November 2010top

Vielschichte Persönlichkeit

Das Werk Pfisters wird erstmalig in einer monografischen Ausstellung mit einem detaillierten Begleitkatalog gewürdigt. Damit knüpft das Museum an frühere Aktivitäten an, denn schon seit Jahren werden in der Villa Vela vielschichtige Persönlichkeiten vorgestellt, deren kulturelle Bildung und breit gefächertes Interesse sich auf unterschiedlichste Weise ausdrückte: Thomas Mann oder der Archäologe und Begründer der Kunstgeschichte Johann Joachim Winckelmann, der Sprachwissenschaftler und Ethnofotograf Paul Scheuermeier sowie die Bildhauer Henry de Triqueti und Augustus St. Gaudens. Der Umstand, dass Federico Pfister Schweizer Staatsbürger war, dabei aber nicht nur als Künstler, sondern als vielseitig engagierter Kulturschaffender in Italien wirkte und auch in schwierigen Zeiten einen wissenschaftlichen Beitrag zum Wachstum des Landes leistete – wobei ihm seine Schweizer Nationalität zuweilen Vorteile, zuweilen aber auch Nachteile bereitete – lässt überdies Ähnlichkeiten mit dem Bildhauer Vincenzo Vela offenbar werden. Aus diesem Grund erscheint das Künstlerhaus-Museum als eidgenössische Institution, das in geografischer Hinsicht dem Nachbarland Italien zugewandt ist, als geradezu prädestiniert, um Federico Pfisters Leben und Werk anhand einer Einzelausstellung näher zu beleuchten. 

Museo Vincenzo Vela, Ligornetto, Schweiz
Öffnungszeiten:
Di-Sa 10-17
So 10-18
Montag geschlossen
Tel. +41 91 640 70 40
www.museo-vela.ch