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Kinderarbeit: VON VERA BUELLER Ohrenbetäubender Lärm hallt von den Felswänden, der Staub macht das Atmen zur Qual, verklebt die Augen, verstopft die Lungen. Die sengende Hitze im Steinbruch von Krishnagiri ist kaum auszuhalten. Wer hier arbeitet, leistet Schwerstarbeit und hat eine Lebenserwartung von vielleicht 35 Jahren. Benjamin Pütter, der den Steinbruch getarnt als Grosshändler besucht, ist fassungslos: Ein Drittel der «Bergleute» sind Kinder. In Lumpen gekleidet, barfuss und ohne Mundschutz klopfen sie Steine. Es braucht die Kraft von mehreren Kindern, um den 45 Kilo schweren Presslufthammer halten und tiefe Löcher ins Gestein bohren zu können. Dann sprengen sie riesige Granitblöcke aus dem Fels. Die Reise durch die südindischen Bundesstaaten Karnataka und Tamil Nadu wird für den Kinderrechtsexperte Benjamin Pütter zum Horrortrip: «Ich habe zum ersten Mal die Steinbrüche unangemeldet besucht und in jedem Kinder angetroffen; mal war es ein Drittel der Arbeiter, mal ein Viertel, mal die Hälfte», erzählt der Mitarbeiter von «Misereor», dem katholischen Hilfswerk. «Die jüngsten elf oder zwölf, die ältesten 15 oder 16 Jahre Jahr alt.» Und die meisten werden als Sklaven gehalten (vgl. Kasten). Bau- und Autogewerbler machen auf Grabmalkunst Die Steine, die von den ausgemergelten Körpern aus dem Fels gebrochen werden, stehen später auf Europas Friedhöfen. «Manch ein Toter würde sich im Grab umdrehen», ist Bildhauer Andrea Bianchi überzeugt. Bianchi führt in vierter Generation den Familienbetrieb in Chur und ist Präsident des Verbandes Schweizer Bildhauer- und Steinmetzmeister (VSBS). Unter seinen Konkurrenten befinden sich immer mehr Quereinsteiger aus dem Bau- und Autogewerbe, die «nun auf Grabmalkunst machen», wie sich Bianchi ausdrückt. Wie in anderen «Konsumbereichen» ist eben auch der Konkurrenzkampf ums Geschäft mit dem Tod hart geworden. Viele Branchenfremde drängen auf den Markt, weil sie eine Marktnische sehen: Gestorben wird immer, in der Schweiz rund 63’000 Mal pro Jahr. Und die meisten Newcomer importieren unbesehen Ware aus Billiglohnländern – so, wie wenn es um T-Shirts ginge. Indischer Granit ist dabei Big Business. Wegen des tiefen Lohnniveaus werden die Grabsteine auch gleich in Indien zugeschnitten, geschliffen und poliert. In der Schweiz muss nur noch die Inschrift – je nachdem auch schon vorproduziert – montiert werden. Das Resultat ist ein «Grabstein ab Stange». Auch gelangen die Inder direkt an die Steinmetze und locken mit bis zu 500prozentigen Gewinnmargen. Geladen haben sie ganze Container voller Fertigware. Das erinnert Andrea Bianchi an die 60er Jahre, als ein Versandhaus in Deutschland den Handel mit Polyestergrabsteinen inklusive Anleitung zur Selbstmontage lancieren wollte: «Die Idee scheiterte glücklicherweise an den geltenden Friedhofsatzungen.» Noch heute verhindern strenge Friedhofreglemente das Schlimmste. Meist sind nur unpolierte, ruhig wirkende Steine wie einheimischer Sandstein, Jurakalk, Andeer Granit oder auch Valserstein zugelassen. Grabsteine, an denen die Zeit noch Patina ansetzt, «die sich nicht mit einem Staublumpen abwischen lassen und dann wie neu aussehen», wie Bianchi veranschaulicht. Doch der Druck auf die Behörden nimmt zu. «Geschürt wird dieser vor allem von den Importeuren, die an einer gewissen Liberalisierung der Vorschriften interessiert sind.» Konkret geht es dabei um die Zulassung industriell produzierter Massenware. Kein Gewinn für die Angehörigen Davon profitieren allerdings nicht in erster Linie die Angehörigen eines Verstorbenen. Vielmehr wirkt sich dies auf die Gewinnmarge der Wiederverkäufer aus: «30 bis 70 Prozent billiger sind die Grabsteine aus Indien – je nach Arbeitsaufwand», bestätigt Corinne Böse. Die in Lengwil am Bodensee ansässige Böse Natursteine AG beliefert die Wiederverkäufer und ist einer der wenigen Betriebe, der gegenüber dem «Beobachter» zum Handel mit Indien steht. «Ich habe mich anfänglich mit Händen und Füssen gegen diese Entwicklung gewehrt», räumt Corinne Böse zwar ein, «aber letztlich entscheidet der Preis im Kampf ums Überleben. Dabei geht es auch um den Erhalt der Arbeitsplätze.» Jene, die heute gegen das Geschäft mit Indien noch wetterten, würden sich morgen ebenfalls den Marktkräften beugen, ist sie überzeugt. Marco Marazzi lässt indes grundsätzlich die Finger von fertig produzierter Importware. Doch er führt Granit-Rohblöcke über den Markt in Antwerpen aus Indien ein. In welchem Steinbruch sie gewonnen wurden und ob dort Kinder arbeiten, weiss er nicht. «Es gibt keine Deklarationspflicht zur Herkunft des Materials», bedauert er. Dazu sage der Preis auch nichts aus. Die Gewinnungskosten seien so oder so viel niedriger als in Schweizer Steinbrüchen, «zwangsläufig, denn es gibt keine Umweltauflagen wie etwa die Pflicht zur Renaturierung und zur Abfallentsorgung oder das Verbot, vor Ort Wasser zur Kühlung der Bohreranlagen einem Bach zu entnehmen». Kommen die niedrigen Lohnkosten und die bessere Maschinenauslastung hinzu – gearbeitet wird oft 7 x 24 Stunden. Und der Transport auf dem Seeweg ist auch bei einer Distanz von 10'000 Kilometern noch billiger, als die Beförderung einheimischen Steins aus dem Tessin nach Basel. Schon 70 Prozent aus Indien In Deutschland stammen schon 70 Prozent aller importierten Grabmale und 80 Prozent der Rohmaterialien aus Indien. «Zahlen, die bald auch für die Schweiz gelten dürften», prophezeit Bildhauer Dieter Schindler. Er gehört zu einer Gruppe von Steinmetzen in Freiburg im Breisgau, die aus der Not eine Tugend gemacht haben. «Wir entwerfen bei uns qualitativ hochwertige Grabsteine und lassen sie in Indien unter fairen Arbeitsbedingungen und ohne Kinderarbeit produzieren», erklärt Schindler. Vor allem aber soll nun ein entsprechendes Gütesiegel lanciert werden (vgl. Kasten). «Es nützt nichts zu jammern», meint er. «Wir kämpfen nicht gegen Windmühlen, sondern wollen ein System anbieten, das uns wenigstens ruhig schlafen lässt.» Andrea Bianchi hat hingegen den Kampf gegen Windmühlen aufgenommen und führt grundsätzliche, ethische Argumente ins Feld: «Es geht hier doch nicht um Velopneus oder T-Shirts, sondern um Grabmale. Erstens soll damit dem Verstorbenen ein individuelles Zeichen gesetzt werden - das darf keine Einheitsware sein. Zweitens ist es ein Kultgegenstand, der Teil unserer Religion ist – und nicht jener der Hindu in Indien.» Nach einer kurzen Pause setzt er noch eins drauf. «Es kommt schon noch so weit, dass unsere Bibel in Peking gedruckt wird.» Oktober 2004
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