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Fasnacht
Wenn bloss nicht die Protestanten kommen!
VON CARNE VALE
Die
Huwilers sind waschechte Lozärner. Echte Luzerner erkennt man daran, dass
sie ein Instrument spielen - und sei es auch nur Triangel -, sich triebhaft
einer Guuggenmusig anschliessen und ihr Lebensinhalt aus den drei schönsten
Tagen des Jahres besteht: aus der Teilnahme an der Fasnacht. So trat denn
auch das Ehepaar Huwiler vor geraumer Zeit mit Pauken und Trommeln einer
Guuggenmusig bei, der "Bacchus". Damit waren sie Mitglied eines Vereins
geworden, der über Statuten, Vorstand, Aktuar, Präsident und straffe Strukturen
verfügt. Ordnung muss sein, schliesslich ist Fasnacht eine ernste Sache.
Wie ernst, bekamen die Huwilers zu spüren, als zuerst ein befreundetes
Ehepaar - ihre Trauzeugen - in besagter Guuggenmusig Opfer von Intrigen,
dann sie selbst das Ziel von Angriffen wurden. Der Grund dafür lässt sich
im nachhinein nicht mehr rekonstruieren. Aktenkundig ist lediglich, dass
die Huwilers eines nachts von einem anonymen Anruf aus dem Schlaf gerissen
wurden: "Ihr müsst im Fall auch nicht mehr kommen!" lärmt eine fremde
Stimme in den Apparat. Es folgen Sitzungen, Verdächtigungen, Vorwürfe,
hitzige Aussprachen.
Dann, ausgerechnet am Schmutzigen
Donnerstag - dem Fasnachtsbeginn in Luzern - treten Herr und Frau Huwiler
aus der Musig aus. Ihre einheitlich im Bacchus-Look gestalteten Guuggergwändli
und "Grinde" (das sind Masken, die den ganzen Kopf einhüllen) behalten
sie. Schliesslich haben sie für die Näharbeiten eine Schneiderin engagieren
müssen und fürs Material teuer bezahlt. Doch - und das weiss jeder, der
jemals in einer Guuggenmusig auf die Pauke gehauen hat - Gwändli und "Grind"
gehören dem Verein. Die letztjährigen Modelle werden nämlich jeweils an
eine auswärtige Formation verkauft - zum Beispiel an die "Lölituuger"
aus Ottighofen am Bodensee.
Bundesordner
und Richter
Bei den "Bacchus" liefern die Paragraphen
8.1. und 8.7. ihrer Satzung zu solchem Handeln die juristisch abgesicherte
Legitimation. Nach Studium der Statuten sind die Huwilers deshalb bereit,
ihre Verkleidungsutensilien in zerlegten Zustand, also ohne Näharbeiten
zu retournieren. Damit ist für alle Beteiligten der Zeitpunkt gekommen,
Bundesordner für den regen Schriftverkehr anzulegen. Gerichtsakten kommen
hinzu - der Friedensrichter wird angerufen, dann das Amtsgericht.
Inzwischen bestehen die Huwilers
unbeirrt darauf, die umstrittenen Objekte in einem Plastiksack vor dem
Probelokal der Bacchus-Musig deponiert zu haben. Das wird von dieser vehement
bestritten. Ein Zahlungsbefehl folgt auf dem Fuss. Die geforderte Summe
beläuft sich mittlerweile auf 865 Franken und 10 Rappen - ohne Gerichtskosten.
Als das endlose Gezerre zum Stadtgespött
wird, fürchtet die Dachorganisation der Luzerner Guuggenmusigen - die
"Vereinigten" - um den unkonventionellen Ruf der Lozärner Fasnacht und
greift ins Geschehen ein. Derweil leiden die Huwilers schon unter Schlafstörungen,
geraten beim Klingeln eines Telefons in Panik und wagen sich nicht mehr
unter die Leute. Frau Huwiler begibt sich gar in ärztliche Behandlung.
Schliesslich willigen die beiden Beklagten zur Zahlung von 500 Franken
ein und geben ihre "Grinde" zurück.
Die Lage war noch nie so ernst!
So geschehen vor drei Jahren. Es
war für Aussenstehende etwas vom Originellsten, was die Luzerner Fasnacht
in jüngerer Zeit hervor gebracht hat. Nicht so für die eingefleischten
Fasnächtler: Die Lage war noch nie so ernst! Plötzlich wurde in gnadenloser
Öffentlichkeit entlarvt, dass die Fasnacht in Luzern weder "einfach ausbricht",
noch "rüüdig schön, schräg und schrill" ist. Nein, da bestehen totalitäre
Strukturen, denen sich die Guugger bedingungslos unterwerfen. Die Gwändli
müssen kollektiv abgestimmt und uniform gestaltet werden. Selbst gestandene
Musigen lassen sie neuerdings im billigen Ungarn herstellen und während
des Balkan-Krieges haben albanische und serbische Hände Luzerner Fasnachtskleider
genäht.
Auch den einst kakophonischen Klängen
der Guuggenmusigen geht's heute an den Kragen. Sie müssen dem organisierten
Versuch weichen, wie eine Bigband im Hans-Möckel-Stil zu tönen. Das ganze
Jahr über wird ein jeder Paukenschlag einstudiert. Jeweils ab November
wird's besonders schlimm, da macht der Terror auch vor den eigenen vier
Wänden nicht mehr halt - die Nachbarin übt allabendlich den Bolero auf
dem Saxophon.
Ausserhalb der Fasnacht treten die
Formationen an Unterhaltungsabenden von SF DRS, auf einer Naue zum Sommerfest,
im Eurodisneyland oder auch an der Parade zum chinesischen Neujahrstag
in Hongkong auf - mit venezianisch angehauchten lieblichen Goldmasken,
weil die eigenen urchigen "Grinde" von den Behörden in der Fremde als
zu unfreundlich taxiert worden waren. Auch die Teilnahme an der Luzerner
Strassenfasnacht muss gut geplant sein: Schon Monate vorher stellt jede
Guuggenmusig einen Marschplan (sic!) auf, wann sie wo, minutengenau in
welcher Beiz und auf welchem Platz spielt.
Eine
Horde debiler Ballermannbesucher
Keine Frage, die Innerschweizer Metropole
gilt heute als Gugger-Hochburg. Und das wollen alle sehen: Wie eine Horde
debiler Ballermannbesucher fallen die Auswärtigen an der Fasnacht in die
Stadt ein. Körper an Körper, ein Gschtungg, Stossen, Drücken und Quetschen
in allen Gassen. Gruppen in niederrheinischer Ausstattung ellenböglen
samt mitgebrachter Sujet-Wagen und Schunkellieder-Wattstärke durch die
Massen. Ganze Reisecars fugen Fasnachtsgäste mit Pappnasen und geschminkten
Gesichtern - was bei den echten Lozärnern verpönt ist - statt "Masgeren"
herbei. Und am Saum des Getümmels stehen Kurt H. Illis Japaner zu Salzsäulen
erstarrt. Begleitet wird die ganze Chilbi von Dutzenden von Verpflegungsständen,
die meisten illegal. Längst sind die Ordnungshüter überfordert - wenn
bloss keine Panik ausbricht. Aus Sicherheitsgründen hatten deshalb die
"Vereinigten" - jene Dachorganisation, die als Schlichter zwischen den
Huwilers und den "Bacchus" auftrat - die auswärtigen Formationen aufgefordert,
an der diesjährigen Fasnacht zu Hause zu bleiben. Dieser Aufruf schlug
wie eine Bombe ein. Die Stadt Sursee bot sofort Asyl. Derweil versuchte
der Stadtrat von Luzern den Schaden - den Ruf als Fremdenstadt an Sursee
zu verlieren - zu begrenzen und liess verlauten, "die Haltung der Vereinigten
ist engstirnig". Ein jeder dürfe in Luzern guuggen.
Die Befindlichkeit im Volke ist jedoch
eine andere: Wieso müssen eigentlich die Aargauer und Ostschweizer an
die Luzerner Fasnacht kommen? Sie können das entfesselte, archaischen
Maskentreiben eh nicht verstehen. Besonders schlimm ist es, wenn die Protestanten
kommen. Also wenigsten die Zwinglianer aus Zürich sollen doch Daheim bleiben!
Und die wenigen verbliebenen Alt- und Kult-Urfasnächtler versuchen nun
zu retten, was zu retten ist: Sie wollen das Kreative Element, die Einzelmasken,
die Buebezügli und das Intrigieren wieder fördern und damit an eine vergangene
Zeit anknüpfen. Eine, die 1947/48 mit dem Auftauchen der ersten Guuggenmusigen
begonnen hatte. Bis dato gab es nur die klassische Herren-Fasnacht unter
der Obhut von Zünften und Gesellschaften mit Umzügen, rauschenden Bällen
samt Maskenprämierung, mit Maskenlaufen und Intrigieren. Mit den Guuggenmusigen
kam in den 40er Jahren ein anarchistisches Element hinzu. Die Idee importierte
der Luzerner Grafiker Sepp Ebinger allerdings aus Basel. Dennoch kam die
Ideee, wie eine Lokalzeitung berichtet, gut an: "Hinter den mageren Neschtli-Töchtern
sorgte nun die echte Basler "Guuggenmusig" für Töne, über deren Dissonanzen
vor Lachen kein Auge trocken blieb." Ein Jahr später gesellte sich die
Chatzemusig hinzu, 1950 die Bohème-Musig. Dann ging es Schlag auf Schlag.
Heute drängen sich weit über hundert Formationen auf Luzerns Strassen.
Künstler
und "Plauderweib"
Die Zeit der Guuggenmusigen brachte
Lebensfreude und Ausgelassenheit in die Provinz. Ein jeder spielte mehr
schlecht als recht ein Instrument - allein die Bläser retteten die Vorstellungen,
solange sie noch einigermassen nüchtern waren. Man zog von Beiz zu Beiz,
die Wirte liessen jeden ein und spendierten Weisswein. Selbst Juwelier
"Bucherer" offerierte zwischen Uhren und Schmuck Wein à discrétion. Die
Maskenbälle waren künstlerische Höhepunkte. Überhaupt war die Fasnacht
eng mit der Kunstszene verbunden. Nicht von ungefähr kam es, dass den
meisten Gruppen Künstler, Dekorateure oder Grafiker vorstanden. Auch wurde
die seit 1833 urkundlich nachgewiesene Tradition der Fasnachtszeitungen
gepflegt. Die Satire-Blätter trugen schillernde Namen wie "Plauderweib",
"Affenkasten", "Jammerschade", "Windmühle", "D'Autosputze" oder "Ratgeber
auf dem luzernischen Kapitalmarkt". Rund 150 Titel hatte es im Laufe der
Zeit gegeben. Heute dümpelt mit der "Wey-Zytig" noch eine einzige, mit
bedenklichem Niveau, vor sich hin.
Nun kann man über die Degeneration
der Luzerner Strassenfasnacht lamentieren - oder aber ihr zugute halten,
dass nicht nur das Brauchtum gepflegt wird. Nicht immer die gleichen Trommeln
und Pfeifen, Masken und Laternen! Die Lozärner Fasnacht ist stets Ausdruck
ihrer Zeit gewesen. Heute heisst dies: Alles wird zu einem Markt und unterliegt
- als Massenprodukt - den Spielregeln von Angebot und Nachfrage. Heute
ist ja alles erlaubt. Es gibt und braucht keine Wahrheit mehr, die man
hinter Masken versteckt. Alles liegt offen zutage. Doch die Dialektik
hat ganze Arbeit geleistet: unaufhörliche Widersprüche wohin man blickt.
Das Ganze ist das Absurde, der Ernstfall das Lustige.
P.S.:
Die Huwilers gehen dieses Jahr wieder an die Fasnacht - ohne Guuggenmusig,
aber in den beiden "verschollenen" Gwändli...
Februar 2001
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