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 Bankraub:
Ein Krimi wie im richtigen Leben

 

VON GREGOR LUTZ

 Wenn es irgendwo noch Geld im Überfluss gibt, dann auf einer Bank. Davon geht jedenfalls der chorknabenhaft wirkende und bekennende Lourdes-Pilger Walter-Paul G. aus, als er am vergangenen Pfingsmittwoch ein blaues Übergwändli anzieht, seine anKnecht Ruprecht erinnernde Fasnachtsmaske überstülpt, zwei Faustfeuerwaffen einpackt und in aller Herrgottsfrühe das Treppenhaus der Regiobank mitten in Luzern betritt. Der Mann ist ein BankenKenner, betrieb er doch während Jahren ein eigenes Geldinstitut. Ein heute bankrottes allerdings. Und so kommt es nicht ganz von ungefähr, dass er eine Bank aussucht, um sich pekuniär zu sanieren. Eine, mit der er noch eine persönliche Rechnung zu begleichen hat. Dann aber kommt alles ganz anders, als geplant.

Bereits um 07.39 Uhr geht bei der Polizei der Alarm ein: "Bewaffneter Raubüberfall, mindestens ein Täter mit Geiseln im Objekt." Polizeiautos rasen durch die Strassen, Scharfschützen beziehen Stellung auf Dächern, zwischen Balustraden, hinter Hausecken, in Gebüsch und Hundedreck. Und gegenüber des Bankgebäudes besetzen jene älteren Männer, die sonst immer bei Baustellen als Beobachter anzutreffen sind, die Logenplätze entlang der Strasse, die sie in der Folge während Stunden hartnäckig gegen den Ansturm der zu spät Gekommenen verteidigen. Einigen Wenigen gelingt es gar, einen Gartenstuhl vom nahen Hotel Astoria zu ergattern. Fernsehen wie im richtigen Leben.

Besitzstände bedroht

Nur sieht man nichts vom eigentlichen Geschehen, das sich im Innern der Bank abspielt. Um so besser klappt die mündliche Nachrichtenüberlieferung: Der Geiselgangster verlange eine Million Lösegeld, aber so viele Franken müsse die Polizei erst noch irgendwo in Luzern zusammenklauben. Diese Neuigkeit, dass nämlich eine der grössten Regionalbanken der Schweiz über keine Million in ihrem Tresor verfügt, löst Bestürzung aus: Sparkontoinhaberin Heidi Lang sieht ihre sicher geglaubten Besitzstände bedroht, und nimmt nun - quasi stellvertretend - ihren frisch geschorenen Pudel fester in die Arme.

Jetzt melden sich die Brecht-Kenner zu Wort, die da wissen, dass die Gründung einer Bank das grössere Verbrechen als deren Beraubung ist: Es sei keineswegs verwerflich, eine Bank zu überfallen, "wo doch nur die organisierte Absahner-Lobby sitzt". Der alte Mann, der dies sagt - ein bisschen tatterig, aber sichtlich beflügelt vom Schluck aus dem Flachmann - setzt gleich noch Eins drauf: "Ja, was bleibt einem denn schon im Leben? Schwimm oder geh unter!" Darin sind sich alle Umstehenden einig, vor allem die jüngeren. Gerade in der heutigen Zeit gerate man doch schnell "auf die Verliererschiene", und dann sei es verständlich, wenn man aus Schwäche oder wegen Steuerschulden irgendeine Gemeinheit begehe. Einen Banküberfall also. Lauter rechtsschaffene und ordentliche Menschen nicken. Man fragt sich nur, woher sie die Zeit nehmen, an einem gewöhnlichen Arbeitstag während Stunden eine Hausfassade anzustarren.

Was macht man mit einer Million?

Auch die Sentimental-Philosophischen unter den Luzernerinnen und Luzernern haben aus gegebenem Anlass frei genommen - sie sinnieren über die Frage "Was macht man mit einer Million": Ja, das richtige Leben wäre anderswo - in Ländern, wo es niemals regnet, wo man es im Wohnmobil auf einem Luxus-Campingplatz bequem aushalte. Aber was ist schon ein Milliönchen? Mindestens drei brauche man, um von den Zinsen leben zu können, rechnet ein dröhnender Würstlistand-Inhaber vor - und spielt angesichts der vielen hundert Schaulustigen mit dem Gedanken, Grill und Fleischwaren zu organisieren.

Offenkundig haben die Gespräche unter den Anwesenden die nötige Vertrauenbasis gebildet, um auch intimstes Bankraub-Wissen gefahrlos preisgeben zu dürfen: Welche Bank über welche Nebeneingänge verfüge, wo man sich den Wachmann am leichtesten "schnappen kann", und dass Deutsche Banken generell kaum gesichert seien. Keine Frage, der Geiselnehmer in der Regiobank macht alles falsch. Es ist wie beim Fussballmatch: 22 Mann haben keine Ahnung vom Spielen, aber Tausende wissen wie. Man zweifelt gar am Dispositiv der "Schmierlumpen". Derweil sind diese, namentlich Kommandant Jörg Stocker, damit beschäftigt, Walter-Paul G. via Telefon davon zu überzeugen, dass 200'000 Franken statt der schwer aufzutreibenden Million als Beute auch nicht schlecht wären. Für den Täter ist somit definitiv alles schief gelaufen: Den Kassier hat er im Handgemenge niedergeschossen, dann keinen Fluchtweg gefunden und nun sitzt mit zwei Geiseln in der Falle.

Eine Mega-Schiesserei

Draussen im Publikum macht derweil das Gerücht von einer "Mega-Schiesserei" und Verletzten die Runde. Das passt nicht mehr ins Bild des cleveren Bank-räubers. Dafür in ein anderes: Erst ist vorsichtig von "keinem Schweizer" die Rede, dann heisst es, "der spricht bestimmt die Asylantensprache". Und noch ehe das Gelächter über die gelungene Umschiffung des Rassismusgesetzes verebbt, spricht eine junge Frau mit breitem Obwaldner Dialekt aus, was längst alle denken: Ein Jugo sei's. Das ist nun einfach so. Punktum. Damit liegt die nächste Frage auf der Hand: Wo ist eigentlich der schönste Schweizer? Gemeint ist Mister Schweiz, der Gefreite Alessandro von der Luzerner Stadtpolizei, der die Nerven seiner Mutter ob seines Titels "eine Polonaise tanzen und ihr Herz Purzelbäume schlagen lässt" ("Blick"). Der Goldjunge, mit verräterisch unschweizerischem Namen, hat zum allgemeinen Bedauern an diesem Mittwoch frei.

Das Image der Ordnungshüter verstehen jedoch auch die anwesenden Polizisten - stets im Laufschritt - gehörig aufzupolieren. Ist doch mal was anderes, als harmlosen Parksündern Bussen anhängen zu müssen. Applaus gibt's vor allem bei der wartenden Presse, die sich um den Informationschef der Kapo, Oberleutnant Rolf Koch, schart - obwohl ihm kein Wort übers geplante Vorgehen zu entlocken ist. Dennoch glauben jene, die schon länger im harten News-Geschäft sind, sich mittels Anbiederei einen Vorsprung verschaffen zu können. Ertappt bei allzu komplizenhafter Vertrautheit, erklärt sich Blick-Reporter Rittler seinen Kollegen: "Den Koch muss man halt zwischendurch mal loben". Dann meldet er seiner Redaktion per Mobiltelefon, dass er "alles im Griff" habe.

So sieht Macht aus

Ein paar Dutzend Meter entfernt bestaunt das gemeine Volk, das wie angeheuerte Statisten hinter der Abschrankung steht, den permanent hektischen Stillstand und die Nateltelefoniererei der vierten Gewalt im Staate. So sieht Macht aus. Faszinierend auch die wenigen wirklich aktiven Momente, wenn irgendwo in der Ferne ein Mann mit Aktenkoffer auftaucht und sich die Fotografenmeute auf ihn stürzt - wer kann schon ahnen, dass das Lösegeld in einem gewöhnlichen Plastiksack in die Bank getragen wird.

Inzwischen ist es elf Uhr, der Pressesprecher denkt ans Mittagessen, die Journaille an den verpassten Morgenkaffee und fürs Regionaljournal kurz nach zwölf wird's allmählich knapp. Gründe genug, die Aktion voranzutreiben und das Stadtzentrum verkehrstechnisch lahmzulegen. Aber selbst der aussergewöhnliche Anblick einer leergefegten vierspurigen Strasse mitten in Luzern, lassen einige mit Einkäufen beladene Damen nicht den Ernst der Stunde erkennen: Sie würden sich am liebsten mit der Polizei prügeln, um einen Zahnarzttermin wahrnehmen zu können - die Praxis liegt hinter der nun weiter zurückgesetzten Abschrankung.

Dann plötzlich die Wende: Jetzt! Da! Das Pressecorps stürmt - die mittlerweile vom Fremdenhass aufgestachelte Bevölkerung im Gefolge - zum Eingang der Bank. Umbrandet von einem wilden Haufen aus Fotografen, Kameraleuten und Fragern, wird der Täter wenig später mit einem Sack über dem Kopf, in Unterwäsche, Handschellen und Fussfesseln von Polizeigrenadieren zwar nicht aufs Schafott geführt, aber immerhin dem Pöbel gnadenlos vorgeführt: Pfiffe, Buhrufe, "Hängt ihn". Und schadenfreudiges Geklatsche endet übergangslos in Händereiben.

Bleibt noch anzufügen, dass Walter-Paul G. ein Schweizer ist, der "einen schönen schweizerischen Namen" trage, wie sich Major Jörg Stocker später an der Pressekonferenz ausdrückt, "also nicht etwa eingebürgert wurde".

Mai 1997

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