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 50-Plus-Generation
Mit 50 am glücklichsten

 

VON VERA BUELLER

Eine Affäre? Nach 35 glücklichen Ehejahren? Jeanette Hafner konnte es nicht fassen. Sie sass am Frühstückstisch und fixierte ihren Mann. Dann hörte sie sich jene Frage stellen, von der sie nie gedacht hatte, sie jemals zu stellen: «Ist sie jünger als ich?» Sie war es.

Jeanette Hafner hatte ihren 56. Geburtstag hinter sich und kam sich nun plötzlich minderwertig vor:   «Du genügst nicht mehr, dachte ich nach der Scheidung.» Doch dann habe sie sich beweisen wollen, dass ihr Frischhaltedatum noch lange nicht abgelaufen sei «und ich bin jeden Abend auf die Gasse gegangen.» Mit zweifelhaftem Erfolg:  «Gegenüber den jungen Frauen hatte ich keine Chance». Heute, fünf Jahre später, lacht sie darüber. Sie ist wieder verheiratet und rundum zufrieden, denn sie hat ihr Leben komplett umgekrempelt.   

Nicht, dass früher alles schlecht gewesen wäre: Als Mutter, Haus- und Ehefrau habe sie ein reiches und schönes, aber mit sechs Kindern auch ein Zeit und Kraft raubendes Leben geführt. Und als sie dann plötzlich als ausrangierte Ehefrau allein da stand, habe sie sich gefragt, «Ist das alles gewesen?».

Diese Frage stellen sich viele Frauen in den Fünfzigern. Wer zwei oder drei Jahrzehnte lang Kinder und Ehemann versorgt hat, will endlich das tun, was wegen des Familienlebens bisher nicht möglich war. Und die Frauen entdecken, dass es noch jede  Menge Dinge im Leben gibt, die sie gut können und gern machen. Oft erfahren sie sogar erst jetzt grosse berufliche Erfolge oder erfüllen sich lang gehegte Wünsche. «Das ist anders als bei den Männern, die im dritten Lebensabschnitt eher ängstlich werden, weil ihre Kariere zu Ende geht und sie nicht wissen, was sie mit der freien Zeit anfangen sollen», meint etwa die US-Bestsellerautorin Gail Sheehy, die Ratgeber für Frauen über 50 verfasst.

Jeanette Hafner hat ihre neue Freiheit genutzt, um nochmals voll durchzustarten: Mit 60 gründetet sie im Zürcher Oberdörfli die Travel-Agency «Reisewelt», wo sie vom Last-Minute-Trip, über Business-, Luxus- bis Badeferien für die ganze Familie alles anbietet. Eine Spezialität sind ihre kulinarischen Kulturreisen – beispielsweise in die Heimat der «Buddenbrooks», mit Lesungen und gemeinsamem Kochen nach den im Roman von Thomas Mann erwähnten Rezepten. Dieses Angebot werde vor allem von Frauen über 50 genutzt, «die noch oder wieder voll im Berufsleben stehen».

Für Jeanette Hafners gibt es keine Zweifel, dass man als Frau über 50 primär Vorteile habe: «Erfahrung, Stehvermögen, Reife. Und man ist leidensfähig. Das stärkt.» Auch in der Liebe: Sie lebe in ihrer neuen Partnerschaft die Sexualität «in einer nie gekannten Intensität – nach dem Lustprinzip.» Sie geniesse den Moment, denke nicht mehr auf 20 Jahre hinaus in die Zukunft. «Man darf alles, muss nichts – auch nicht mehr eifersüchtig sein.»

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Psychoanalyse zum 50. geschenkt

Auch die Physiotherapeutin Ingeborg Wagner (54) ist frisch verliebt und glaubt, ihre Lust mehr den je ausleben und geniessen zu können. «Meine Zeit ist jetzt und ich lebe alles, was möglich ist – wer weiss, ob ich das in fünf Jahren noch kann?» Ihr Mann starb bereits 1989. Damals war ihr Sohn zweieinhalb Jahre alt. Als Alleinerziehende musste sie ihr Leben ganz nach dem Kind ausrichten und manch einen persönlichen Wunsch zurück stellen.

Als sie dann 50 wurde, war das für Ingeborg Wagner eine Zäsur, die sie auf ausgefallene Art zelebrierte: «Ich habe mir eine Psychoanalyse geschenkt, weil ich wissen wollte: Wer bin ich?» Gewiss, man könne sich dies an jedem Geburtstag fragen, «und man kann sich zwischen 16 und 80 auch immer mal alt vorkommen. Aber der 50. ist wie eine Sollbruchstelle.» Jedenfalls verliere sich das Gefühl, das Leben sei endlos. Auch lasse sich nicht verdrängen, «dass der Körper schneller altert als das Bewusstsein». 

Keine Frage, die meisten Frauen ab 50 neigen zur Üppigkeit, die Sehkraft lässt nach, auf den Händen und Wangen bilden sich braune Flecken und um die Augen, den Mund und auf der Stirn entstehen Fältchen. Vor allem aber signalisieren die Wechseljahre die eigene Vergänglichkeit: Das war’s dann also? Wer bisher keine Kinder bekommen hat, wird keine mehr kriegen. Viele Frauen empfinden das Ende ihrer Fruchtbarkeit als Ende der Weiblichkeit – und setzen dies gar gleich mit dem Verlust an Attraktivität.

«Logisch freue ich mich heute ungemein, wenn mir jemand sagt, ich sähe jünger aus», lacht Ingeborg Wagner. Sie empfinde jedoch die Veränderung ihres Körpers eher als etwas Befreiendes – auch wenn die Hormone manchmal verrückt spielten. «Die Themen Fortpflanzung und Verhütung entfallen und das Ausbleiben der Monatsblutungen setzt neue Kräfte frei. Es ist für uns Frauen der Auftakt in eine neue schöpferische Lebensphase, wie eine zweite Pubertät.»

Ingeborg Wagner lebt heute anders als vor ihrem 50.: Ihr Arbeitspensum hat sie auf 60 Prozent reduziert und nutzt die frei gewordene Zeit für sich und ihre Bedürfnisse. Sie sei nicht mehr so verfügbar für andere, denn «Alter ist Radikalisierung», ist sie überzeugt. Man lerne Nein zu sagen, setze klar Prioritäten, lasse Grenzüberschreitungen zu, lote Neues aus, riskiere mehr. «Es regiert nicht mehr so sehr die Vernunft. Man wird spontaner und frecher – oder besser gesagt, unbekümmerter.» So sei es ihr heute egal, was andere über sie denken, «beispielsweise wie ich angezogen bin». Sie können auch besser Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden. «Und ich muss mir nichts mehr beweisen, schliesslich habe ich meine Erfahrungen gemacht.»

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Das Leben fing erst mit 50 an

Selbstbewusstsein wurde Eva Gillis (57) nicht in die Wiege gelegt: Zwar hat sie einen Beruf, nämlich Buchhändlerin gelernt, «aber ich war darauf programmiert, im alt hergebrachten Sinn Hausfrau zu werden und brav zu funktionieren». Ihre Ehe verlief dann allerdings alles andere als glücklich, der Sohn geriet in die Drogenszene und sie selbst erlitt bei einem Autounfall ein schweres Schleudertrauma: «Ich war kaum noch lebensfähig, ertrug keine Geräusche mehr und hatte ständig Migräne.» Sie habe darüber nachgedacht, in ein geschlossenes Kloster zu gehen, «nicht des Glaubens wegen, sondern um Ruhe zu finden».

Dann, mit 50, «war mein Sohn erwachsen, meine Aufgabe als Mutter erfüllt – meine Rolle als Ehefrau hatte ich ohnehin längst verloren. Da beschlossen mein Mann und ich, dass wir nicht gemeinsam alt werden wollen». Und nachdem der Schlussstrich gezogen war,  habe sie etwas gewagt, wovon sie ein Leben lang träumte: Tango tanzen lernen. Sie war fasziniert von dieser «Choreografie der Berührungen – wie sich die Körper begegnen, sich trennen und wieder finden». Und da passierte es: Eva Gillis begegnete ihrer grossen Liebe, es begann «ein einziger Liebesrausch», schwärmt sie. Sie habe zum ersten Mal begriffen, was Erotik sei.

Durch ihren neuen Partner kam sie auch zu den «1000 Friedensfrauen», die sich mit Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen für den Frieden engagieren. Was als eine kleine, einmalig gedachte Aufgabe im Dienste der Friedensfrauen begann, wurde für Eva Gillis zum Fulltime-Job:  Sie koordiniert heute auf der ganzen Welt die Wanderausstellung, reist viel, ist topfit und «war noch nie so zufrieden». Sie habe das Leben erst mit 50 an sich heran gelassen. Voraussetzung für ihr spät gefundenes Glück sei jedoch ihre Lebenserfahrung gewesen, ist sie sich sicher. Und sie glaubt, was Glücksforscher behaupten: Die Fähigkeit, sich mit dem Leben auseinander zu setzen, gepaart mit Altersweisheit, führe zum Glück – und davon hätten Frauen in den Fünfziger am meisten.

«Allerdings», schränkt Eva Gillis sogleich ein, «wenn ich eine 50-Jährige in Kenia oder Nepal betrachte, gilt dies wohl kaum». Dort würden die Frauen ganz anders vom Leben geprägt als in der so genannt Ersten Welt – von Glück in den Fünfzigern sei da wenig zu spüren.

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Diese Frauen wurden freilich auch nicht befragt, als die Kosmetikfirma Dove vor zwei Jahren eine internationale Studie über Frauen 50-plus in Auftrag gab.  «Dove» wollte heraus finden, mit welchen Schönheitsidealen und Vorurteilen sich Frauen ab 50 konfrontiert sehen. In der Schweiz wurden die Daten vom Meinungsforschungsinstitut Link erhoben.

Die Studie bilanziert, dass sich die Befragten weder als  «ältere Damen», noch «in den besten Jahren» und schon gar nicht als «ältere Klientel» sehen. Im Gegenteil: Die Frauen über 50 fühlen sich jung, sind finanziell unabhängig und aktiv in die Arbeitswelt wie auch in die Gesellschaft integriert. In der Schweiz fühlten sich 78 Prozent der befragten Frauen zu jung, um als alt bezeichnet zu werden. 76 Prozent sollen sogar stolz darauf sein, ihr Alter zu nennen.

Doch aufgepasst: Wer als ältere Frau einen Partner im Internet sucht und sein Alter nennt, wird sich wundern. Die Autorin Judith Alwin (47) hat im Selbstversuch die unterschiedlichsten Partnervermittlungsangebote online getestet und darüber ein Buch geschrieben (siehe Literaturhinweis). Ihre Erfahrung: «Es regiert im Netz die Männerwelt. Selbst der dümmste Greis sucht noch ein 20-jähriges Topmodel.» Und wer als ältere Frau auf www.datingcafe.de klickt, sieht gleich total alt aus: Der Service ist für Frauen bis 44 gratis und wenn ein Mann eine Frau ab 45 nimmt, bezahlt er nichts.

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Den Wandel hautnah miterlebt

Was Wunder, finden 75 Prozent der für «Dove» Befragten, dass die Gesellschaft ihre Ansichten über die heutige Generation der Frauen 50-plus ändern müsse. Zumal es sich bei den zwischen 1946 und 1964 geborenen so genannten Babybommer um die 68er handelt: In ihrer Jugend haben sie Autonomie im Denken, in der Kleidung, im Musikgeschmack und in der Sexualität erkämpft.  «Nun erheben sie den Anspruch, anders, besser und schöner alt zu werden als ihre Eltern», sagt eine, die es wissen muss: Eva Mezger Haefeli. Die frühere TV-Moderatorin hat während 20 Jahren fürs Schweizer Fernsehen Sendungen für die Älteren nicht nur moderiert sondern auch redaktionell mitgestaltet – «Da capo», «Seniorama» und «Treffpunkt». «Das war für mich die beste Vorbereitung aufs Älterwerden», sagt die heute 75-Jährige.

Eva Mezger Haefeli ist eine Fernsehfrau der ersten Stunde. 1953 kam sie als Programmassistentin zum Schweizer Fernsehen, wurde dann allerdings mehr als «Mädchen für alles» eingesetzt. Als solches musste sie sogar als Ansagerin einspringen, als eines Tages die eigentliche Sprecherin ausfiel. «Ich bin fast gestorben vor Lampenfieber», erinnert sich die mehrfache Grossmutter noch heute.
Damit hatte Eva Mezger Haefeli ihren Einstand als Moderatorin gegeben und blieb dem Fernsehen treu.  Wenn auch mit Unterbruch: 1957 ging sie nach Deutschland, spielte Theater, heiratet den Regisseur Theo Mezger, bekam drei Kinder und gab der Familie zu liebe die eigene Karriere vorerst auf. Gut ging das nicht – der Mann war ständig unterwegs, man lebte sich auseinander.

Nach dem Scheitern der Ehe, 1973, kehrte Eva Mezger Haefeli in die Schweiz zurück und zog ihre Kinder allein gross.  Dies in einer Zeit, als das noch alles andere als selbstverständlich war.

Heute hütet Eva Mezger Haefeli die vielen Grosskinder, betreut ihre nach einem Unfall gesundheitlich beeinträchtige Tochter, erteilt schwächeren Schülern Nachhilfestunden und sitzt immer mal wieder im Zürcher Neumarkt-Theater an der Kasse und verkauft Eintrittskarten. Fast scheint es, dass es keinen Unterschied gäbe zwischen der jungen und der alten Eva Mezger Haefeli. Ja, sie sei wohl immer zu beschäftigt gewesen um eine Midlife-Crises an sich heran zu lassen, meint sie. «Aber es gab eine Zeit mit Mitte Fünfzig, als gleich drei mir nahe stehende Menschen an Krebs starben.» Von da an habe sie es als Geschenk empfunden, dass sie noch leben darf. «Dafür nehme ich etwas Schlabberhaut gern in Kauf.»

Doch ihr sei klar, dass es vielen Frauen schwer falle, älter zu werden: Man bekommt Falten, Flirts werden selten, Männer drehten sich nicht mehr nach einem um. Kurzum: Die Attraktivität nimmt ab. Das bedeute aber nicht, dass man Altwerden gleich mit Treppenlift und Stützstrümpfen gleich setzen müsse, meint Eva Mezger Haefeli. Denn «heute gibt es  so viele Möglichkeiten sich fit zu halten, wie noch nie».

Vorbei die Zeiten, in denen Joggen und Muskeltraining bei einer Frau als würdelos galten und Nordic Walking in der Fussgängerzone Kopfschütteln auslöste. Vorbei auch die Zeiten, in denen Frauenzeitschriften über kleine Schönheits-OPs wetterten. Und Anti-aging-Produkte sind als Waffen gegen Furchen in der Wange, Stirnfalten und Krähenfüsse eine Selbstverständlichkeit geworden.

Eva Mezger Haefeli sieht sie in dieser Entwicklung einen emanzipatorischen Schritt. «Noch vor dreissig, vierzig Jahren waren die 50-Jährigen mehrheitlich kohlenrabenschwarz angezogen, trugen ihr Haar zu einem Dutt gebunden, waren uralt und fühlten sich vermutlich auch so.» Und wenn sie heute an Schauspielerinnen denke wie Maria Furtwängler, Hannelore Hoger, Rita Russel, Senta Berger oder Iris Berben «sind das Welten, die sich im Vergleich zu früher auftun».  Etwa zu Margit Rainer als 45-Jährige im Polizist Wäckerli. «Das war schon jenseits…»  Und heute?

Heute porträtiert die New Yorker FotografinAnnie Leibovitz nackte Frauen zwischen 54 und 63 Jahre, die für «Dove»-Kosmetika werben. Und niemand stört sich daran. «Alt ist schön», so die Botschaft an Frauen im fortgeschrittenen Alter.

Lange Zeit hatten die Werber die Kundschaft jenseits der 50 ignoriert: «Bis in die 1990er Jahre entsprach unser Bild vom Alter demjenigen eines Rentners, der seine Tage in Lethargie verbringt», resümiert Dominique von Matt, Mitinhaber der Werbeagentur Jung von Matt. Doch das neue Jahrtausend gehöre aufgrund der demografischen Entwicklung den über 50-Jährigen. Und die Werbebranche habe erkannt, dass das Bild des passiven Rentners definitiv überholt sei:  «Wir kommunizieren mit aktiven, erlebnishungrigen, neugierigen und konsumfreudigen Menschen», sagt von Matt.

Entsprechend gewachsen ist bei vielen Firmen das Interesse an Studien, die sich mit der Denkweise, dem Lifestyle und dem Konsumverhalten der Generation 50-plus befassen. Zum Beispiel an der Untersuchung «Unsichtbar – Frauen über 50» von Liliane Forster:  «Frauen ab 50 wissen genau, wo sie im Leben stehen. Sie pflegen ihre Individualität, wissen Freiheit zu schätzen, sehen sich aber auch als Teil eines grossen Ganzen – gesellschaftlich, ökologisch oder spirituell.» Und – so die Studie des weitern – was den Konsum angeht, seien Frauen zwi­schen 50 und 70 ausgesprochene Konsum­profis: «Sie haben alle Modeströmungen erlebt, sind kritisch gegenüber Marketingstrategien.»

Dennoch scheint die Strategie von «Dove» aufzugehen: Deren Produkte für die reifere Haut tragen nicht das Label «anti-aging» sondern «pro-age». Dazu geführt hat eine banale Erkenntnis: Wer den Seniorenmarkt erschliessen will, muss für 50-plus ein gutes Label finden. «Wenn irgendwo ‹Senior› drauf steht, kauft das niemand unter 80 Jahren», sagt Karin Frick vom Gottlieb-Duttweiler-Institut, die Verfasserin der Studie «Generation gold».

Doch für die Autorin ist nicht alles Gold was glänzt: «Erfolgreich alt werden, wird zur Pflicht. Gesund, agil, selbstständig – die Werbung vermittelt uns das Bild von fitten weisshaarigen Dynamikern, die auf Weltreise gehen, sich beim Segeln vergnügen oder noch voll im Berufsleben stehen.»  Dabei stelle sich immer mehr die Frage, wer künftig die Freiwilligenarbeit unserer Grosseltern mache: Wer hütet die Enkelkinder, wenn s’Grosi keine Zeit hat, weil es eine Ausbildung macht oder sich grad auf Kulturreise in Indien befindet?

Insbesondere die Frauen brechen auf zu neuen Ufern.  Das ist Pech für jene, die im Rentenalter nicht mehr Chinesisch lernen, keinen Marathon mehr laufen und auch keine Traumreise unternehmen wollen. Jene, die sich einfach nur zurück lehnen, ihre Katze streicheln, Kreuzworträtsel lösen und Musse haben möchten.

«Man befindet sich immer in einem sozialen Umfeld. Und da hört einem als ‹Stubenhocker› plötzlich niemand mehr zu, wenn rundherum Aktivprogramm herrscht», gibt Karin Frick zu denken. Heute gelte bei den Alten nur mehr jener etwas, der öffentlich demonstriere «Hey, ich bin vital und mache interessante Dinge». Das könne im besten Fall eine Win-Win-Situation sein, weil man sich aktiv auch besser fühle.

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Auf dem Arbeitsmarkt chancenlos

Die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Die Krankheitsanfälligkeit nimmt im Alter zu, die Leistungsfähigkeit ab und wer in den Fünfzigern arbeitslos wird, hat auf dem Stellemarkt kaum mehr Chancen. So wie Flavia Ronchetti (60). 18 Jahre hat sie im gleichen Restaurant in der Luzerner Altstadt hinter der Bar und im Service gearbeitet. Der «Stadtkeller» war quasi ihr zu Hause. Dann gab es einen Pächterwechsel und «es war jüngeres Blut gefragt», sagt sie – der  bittere Unterton ist nicht zu überhören. Seit ihrer Kündigung sind vier Jahre vergangen. Vier Jahre Stellenbewerbungen schreiben, Absagen verdauen, Übergangsjobs annehmen, Arbeitslosengeld erbetteln, RAV-Kurse absolvieren. «Das nagt am Selbstwertgefühl», sagt Flavia Ronchetti.

Dabei war sie einst ein begehrtes Fotomodel, spricht vier Sprachen und bringt viel Erfahrung mit: Mit ihrem ersten Mann hatte sie eine eigene Pension geführt und nach der Trennung war sie stets im Gastgewerbe tätig: in der Küche, im Service, am Buffet, hinter der Bar.  Wenn Flavia Ronchetti nun hört, wie toll es sei, im Alter auf die gemachten Erfahrungen zurück greifen zu können, wird sie wütend: «Es ist eher ein Hindernis. Gefragt sind Leute, die sich herum kommandieren lassen, keine Frage stellen, nichts gelernt haben und billig sind.» Und wenn sie höre, wie glücklich die Frauen ab 50 angeblich seien, «frage ich mich, wo die Studien  gemacht wurden».
Die Wissenschaftler seien weltfremd, wüssten nicht, was es bedeute, ein Leben lang kein Geld zu haben,  stets zu Rudern, um Job und Kind unter einen Hut zu bringen, «sich wie auf einer Achterbahn zu fühlen und nie leiser treten zu können». Gewiss, auch sie habe Ideen, was sie alles machen könnte. Am liebsten würde sie einen Mittagstisch für ein paar wenige Berufstätige führen – oder noch lieber eine Katzenpension eröffnen. «Aber das ist alles eine Frage des Geldes.» Sie lebe am Existenzminimum, habe Mühe, ihre Wohnung halten zu können und für sie sei es schon Luxus, dass sie ein Büsi habe.

Aber sie sei dennoch stolz auf ihr Leben, auf ihren Sohn, und darauf «dass ich mir meine Falten ehrlich erworben habe – vom Lachen und vom Weinen».

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Web-Links:

Literatur zum Thema

Renate Daimler: «Lust auf 50 – Frauen am Wendepunkt», Piper Verlag GmbH München, 1999, 270 Seiten, 16.80 Franken

Petra Gerster: «Reifeprüfung – Die Frau von 50 Jahren», Rowohlt Verlag GmbH, Berlin, 2007, 336 Seiten, 16.80 Franken

Margrit Schönberger: «Don’t worry, be fifty: Plötzlich bist du 50 – und die Welt ist voller Möglichkeiten», Droemer Verlag München, 2006, 253 Seiten, 12.90 Franken

Katrin Wiederkehr: «Wer loslässt, hat die Hände frei – Ein Buch für Frauen, die noch viel vorhaben», Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main, 2005, 220 Seiten, 15 Franken

Judith Alwin: «Ins Netz gegangen – Partnersuche im Internet: mein Online-Tagebuch», Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2008, 347 Seiten, 23.90 Franken

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